«Das habe ich in meinen 45 Jahren in der Branche nur einmal erlebt», sagt Horst Joachim «Otto» Schacht, langjähriger Leiter der Seefrachtdivision von Kühne & Nagel, einem der weltgrössten Logistikkonzerne. Die letzten drei Jahre seien für die Seefracht eine riesige Herausforderung gewesen, vor allem wegen der Covid-Krise. Darüber hinaus hatte das Frachtschiff «Ever Given» für einige Tage den Suezkanal zwischen dem Mittelmeer und dem Roten Meer blockiert.
Weil 80 bis 90 Prozent der Güter heute übers Meer verschoben werden, haben Unterbrüche von Seefahrtsstrassen grosse Auswirkungen. Die Folge waren verspätete oder ausgefallene Transporte, wodurch Lieferketten auf der ganzen Welt durcheinandergekommen sind. Dies spürten nicht nur Industriebetriebe, denen Maschinen, Rohstoffe und Teile fehlten. Auch Kundinnen und Kunden standen in Warenhäusern vor leeren Regalen und in Online-Shops vor unbestimmten Lieferzeiten. Auswirkungen sind bis heute spürbar.
Ein Viertel weniger Waren
Nun tauchte in diesem Jahr ein neues Problem auf: Der Panamakanal, der in Mittelamerika den Atlantischen mit dem Pazifischen Ozean verbindet, führt zu wenig Wasser, um die riesigen Ozeanfrachter sicher durch den Kanal zu bringen. Grund dafür ist fehlendes Frischwasser. Die Schleusen des Kanals werden aus zwei grossen Seen gespiesen.
Rund 200 Millionen Liter Wasser braucht es für einen Schleusengang – und das für jedes der rund 13'000 Schiffe, die im Jahr durch den Kanal fahren. Doch wegen langer Trockenheit und ausbleibenden Regens in traditionell feuchteren Jahreszeiten konnten die Seen zu wenig Wasser speichern. Ausserdem ist einer der Seen selbst Teil des Kanals – und weil er so wenig Wasser hat, drohen die Ozeanriesen auf Grund zu laufen. Die Kanalbetreiber haben deshalb verfügt, dass Schiffe nur noch mit 75 Prozent der normalen Ladung durch den Kanal fahren dürfen. Diese Verfügung wurde eben bis mindestens Ende August verlängert. Das Problem: Jeder Container, der nicht verladen wird, verursacht zusätzliche Kosten.
Abgekühlte Wirtschaft hilft etwas
Otto Schacht mag hier noch nicht von einer neuen Krise sprechen. «Die Kundinnen und Kunden dürften davon kaum etwas spüren», sagt der erfahrene Logistiker. In diesem Jahr hat die etwas abgekühlte Weltwirtschaft geholfen; es waren ohnehin weniger Container unterwegs. Und sollte es im nächsten Jahr wieder Einschränkungen geben, habe die Branche Alternativen, sagt Schoch.
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Bild 1 von 6. Panamakanal: Weil der Alajuela-See und auch der grosse Gatunsee wegen ausbleibender Regenfälle zu wenig Wasser speichern konnten, ist der Wasserstand in der 80 Kilometer langen Schiffspassage zwischen dem Pazifik und dem Atlantik zu niedrig für die Ozean-Frachter, die bis zu 16'000 Container geladen haben. Bildquelle: Keystone/ Dario Lopez-Mills.
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Bild 2 von 6. In den nächsten Jahrzehnten könnten durch die steigenden Meeresspiegel viele Häfen überflutet werden. 13 der für die Seefracht wichtigsten Häfen, die bedroht sind, liegen in den USA und Asien. Bildquelle: IMAGO/ .
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Bild 3 von 6. Durch die steigenden Meeresspiegel wächst der Druck, den die Flut auf den Meeresgrund in Landnähe ausübt. Der Hamburger Hafen zum Beispiel liegt in einer Flussmündung, die durch Ebbe und Flut beeinflusst wird. Experten befürchten, dass die Flut künftig mehr Sediment in die Flussmündung schiebt, was den Tiefgang verringern könnte. Bildquelle: IMAGO/ Markus Tischler.
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Bild 4 von 6. Häufigere und heftigere Stürme an der Küste: Stürme können Hafenanlagen lahmlegen, wie Ende Oktober 2017 in Bremerhaven. Landeinwärts geblasene Gischt liess den Salzgehalt der Luft stark ansteigen, es entstand sogenannter Salznebel. Dies führte zu Kurzschlüssen in Oberleitungen, worauf alle Güterzuge ins Hinterland ausfielen. Bildquelle: Keystone/ MICHAEL BAHLO.
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Bild 5 von 6. Die steigende Zahl von Extremwetterereignissen (Hurrikans, Taifune) kann Schifffahrtsrouten beeinträchtigen. Moderne Ozeanfrachter sind zwar sehr stabil gebaut und können den meisten Stürmen auf dem Meer trotzen, dennoch rechnen Forscher mit mehr Havarien durch Stürme insbesondere in Meerengen und in Küstennähe. Bildquelle: IMAGO/ Olaf Döring.
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Bild 6 von 6. Seit Anfang 2000 geht das Meereis in der Arktis im Sommer drastisch zurück. 2008 waren die Nordost- und die Nordwestpassage erstmals gleichzeitig eisfrei. Sollten diese Passagen eisfrei bleiben, hat dies massive Konsequenzen für Umwelt und Menschen. Die Transportbranche könnte jedoch von einer kostengünstigeren Route profitieren. Bildquelle: Keystone/ Jonathan Hayward.
Ein Teil der Güter kann auf dem Landweg per Zug oder Lastwagen durch die USA fahren – oder auf die langwierige Route vorbei am Kap Horn an der südliche Spitze von Südamerika geschickt werden. Das würde den Transport deutlich verlängern und verteuern. Das sei verschmerzbar, wenn es nicht zu lange dauere.
Klimawandel wird für Seefracht spürbar
Das viel grössere Problem sei ein anderes: «Zum ersten Mal erlebt die Seefracht die Klimaveränderung am eigenen Leibe.» Schacht setzt sich in der Branche seit langer Zeit dafür ein, dass die Seefracht auf umweltfreundlichere Schiffe umstellt. Sie ist heute noch für fünf Prozent des weltweiten CO₂-Ausstosses verantwortlich.
Otto Schacht glaubt nicht, dass die Panama-Passage langfristig unpassierbar wird: «Der Kanal wurde bisher nicht gesperrt und wird es wohl auch nicht werden», meint er. Allenfalls werde die Route für viele Reedereien mit der Zeit unrentabel. Durch den Suezkanal können schon jetzt deutlich grössere Schiffe fahren.
«Auch Seefracht muss für Klimaziele kämpfen»
Es warten jedoch weitere Herausforderungen durch den Klimawandel. Forscher prognostizieren extreme Wetterphänomene auf den Seefahrtsrouten, überschwemmte oder verlandete Seehäfen, zerstörte Verteilnetze im Hinterland. Dazu meint der Logistik-Experte: «Das wird die Seefracht, falls überhaupt, erst in 50 bis 100 Jahren treffen.» Er will deshalb auch noch nicht darüber sprechen, wie sich die Branche auf mögliche zukünftige Auswirkungen der Klimaveränderung vorbereiten soll. «Wir müssen zuerst einmal alles dafür tun, dass es gar nicht so weit kommt. Wir müssen mit aller Kraft die Klimaerwärmung stoppen», gibt Otto Schacht seinem Nachfolger mit auf den Weg, dem er das Steuer der Seefracht-Division von Kühne & Nagel noch in diesem Jahr übergibt.