Bei den Protesten in Iran sind in den letzten zwei Monaten Hunderte Menschen ums Leben gekommen, Tausende wurden verhaftet. Nun hat die iranische Fussball-Nationalmannschaft ein Zeichen der Unterstützung des Protests gezeigt – indem sie die Nationalhymne vor dem WM-Spiel gegen England nicht mitgesungen hat. Das werde womöglich schwere Folgen haben für die Spieler, sagt ARD-Korrespondentin Karin Senz.
SRF News: Wie stark ist das Protestzeichen der iranischen Nationalmannschaft, bei der Hymne stumm zu bleiben?
Karin Senz: Offenbar hat die iranische Nationalmannschaft stark mit sich selber darum gerungen, dieses Zeichen zu setzen. Noch letzte Woche hatte sich einer der Spieler um eine Antwort auf eine entsprechende Frage gedrückt.
Die iranischen Fussballspieler sind Nationalhelden – und in normalen Zeiten ein Propagandainstrument.
Spätestens am Sonntag deutete sich allerdings an, dass die Mannschaft das Zeichen setzen würde. Damals sprach der Mannschaftskapitän den Hinterbliebenen der Opfer der Proteste sein Beileid aus. Die Fussballspieler sind in Iran Nationalhelden – und in normalen Zeiten ein Propagandainstrument.
Welche Folgen hat das für die Spieler?
Ein iranischer Kleriker hatte letzte Woche gefordert, man solle jene aus der Mannschaft werfen, die sich weigern, die Hymne mitzusingen. Bloss: Da stellt sich die Frage, wer für Iran an der WM noch spielen soll.
Die Spieler könnten bei ihrer Rückkehr nach Iran unter Druck gesetzt werden.
Beobachter gehen darum davon aus, dass den Spielern schwere Konsequenzen drohen, wenn sie nach Iran zurückkehren. Sie könnten dann unter Druck gesetzt werden – etwa, dass das Karriereende in Iran droht, mit Bussen oder auch mit schlimmeren strafrechtlichen Folgen.
Könnten dabei auch ihre Familien ins Visier der iranischen Behörden geraten?
Wir haben immer wieder erlebt, dass in ähnlichen Fällen ziemlich harte Mittel angewendet wurden. Leute verschwanden tagelang und mussten sich danach entschuldigen – wie etwa kürzlich eine Kletterin, die einen Wettkampf-Final ohne Kopftuch absolvierte. Ähnliches ist auch im Fall der Fussballer denkbar.
Im Vorfeld hatte sich die Nationalmannschaft mit Irans Präsident Ebrahim Raisi ablichten lassen und war dafür kritisiert worden. Wie wird nun das neuste Zeichen des Protests in Iran wahrgenommen?
Die Menschen feierten die Protestgeste auf den Strassen fast so, wie wenn die Mannschaft das Spiel gegen England gewonnen hätte. Allerdings wurde auch jedes Tor der englischen Mannschaft mit Autohupen gefeiert. Offenbar hat die iranische Nationalmannschaft also die Sympathie trotz ihres Schweigens während der Nationalhymne bei vielen Iranern nicht zurückgewinnen können.
Bezeichnend ist dabei ein Video eines Mannes auf einem Motorrad, der sich die britische Flagge um die Schultern gebunden hat. Dazu muss man wissen: Auf der britischen Flagge wird neben jener der USA und der von Israel bei Pro-Regime-Demonstrationen jeweils herumgetrampelt und öffentlich verbrannt. Der Mann auf dem Motorrad riskiert also sehr viel – in diesen Tagen sogar sein Leben.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.