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Proteste in Serbien Vucic holt Nobody als Premier – geht der Schachzug auf?

Serbiens Präsident Aleksandar Vucic will seine Macht erhalten. Seit Monaten demonstriert die Bevölkerung gegen Korruption und für Rechtsstaatlichkeit. Vor gut zwei Monaten liess Vucic seinen Premier zurücktreten und hat dafür nun den Arzt Djuro Macut nominiert. Der 62-jährige Endokrinologe stehe ganz im Dienst des Autokraten Vucic, sagt Adelheid Wölfl, Südosteuropa-Korrespondentin der österreichischen Tageszeitung «Der Standard».

Adelheid Wölfl

Südosteuropa-Korrespondentin, «Der Standard»

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Adelheid Wölfl lebt in Belgrad und ist Südosteuropa-Korrespondentin der österreichischen Tageszeitung «Der Standard».

SRF News: Djuro Macut ist ein politischer Nobody, niemand kennt ihn – wieso fiel Vucics Wahl ausgerechnet auf ihn?

Adelheid Wölfl: Weil niemand Djuro Macut kennt. Vucic will ein unverbrauchtes Gesicht in die Politik bringen, das nicht mit der Korruption und Unterdrückung des Regimes in Verbindung gebracht wird. Vucic will so tun, als würde er auf die Wünsche der Demonstrierenden eingehen und eine Technokratenregierung einsetzen. Allerdings ist Macut komplett loyal dem Vucic-Regime ergeben.

Wird dieser Schachzug die unzufriedenen Serbinnen und Serben überzeugen?

Sicher nicht. Die Bevölkerung weiss, dass Macut nichts zu sagen haben wird in dem autokratischen System, wo alles bei Vucic zusammenläuft. Macut ist bestenfalls für Vucic wichtig, weil dieser am 18. April eine neue Regierung haben und weiterregieren will, als wäre nichts gewesen.

Djuro Macut
Legende: Gemäss Verfassung muss Djuro Macut bis zum 18. April eine neue Regierung bilden und diese durch das Parlament bestätigen lassen. Die Zustimmung der Volksvertretung gilt als gesichert. Tanjug / Strahinja Aćimović

Die friedlich protestierenden Studierenden wollen den Wandel weiterhin über demokratische Prozesse herbeiführen – können sie noch etwas tun?

Sie machen einfach weiter, obwohl sie von den Regime-Medien extrem angegriffen und auch Hooligans gegen sie losgeschickt werden. Die Proteste haben in der Bevölkerung unglaublich viel Unterstützung. Zurzeit ist eine Gruppe von Studierenden von Belgrad nach Strassburg unterwegs, um auf die Lage in Serbien aufmerksam zu machen. Heute sind die Studierenden in Wien.

Die EU unterstützt Vucic zum Teil aktiv, etwa Frankreichs Präsident Macron oder EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen. Warum das?

Sie argumentieren rational, dass es keine Alternative zum Regime gebe, weil die Opposition zu schwach ist. Ein Regimewechsel ist also nicht zu erwarten. Sie haben Vucic seit Jahren aufgebaut. Er ist quasi ihr Mann auf dem Balkan, für den sie sich entschieden haben. Die EU hat aber auch wirtschaftliche Interessen. Etwa das Lithium für Elektroauto-Batterien, das in Serbien abgebaut werden soll.

Vucic.
Legende: Seit dem Einsturz eines Bahnhofsvordachs in Novi Sad mit 16 Toten im November 2024 ist Präsident Vucic mit einer anhaltenden Protestwelle in weiten Teilen der Bevölkerung konfrontiert. Diese könne ihm mit Reformforderungen gefährlich werden. Keystone / EPA / ANDREJ CUKIC

Zugleich liefert Serbien inoffiziell in einem Waffendeal Munition an die Ukraine. Vucic schafft es, die Führungsspitzen der EU bei regelmässigen Kontakten von seinen Ansichten zu überzeugen. Er tut dabei so, als würde er den Balkan stabilisieren, in Wahrheit macht er aber das Gegenteil. Es nützt ihm sehr, dass im Nachbarstaat Bosnien-Herzegowina gerade eine extreme Krise herrscht.

Wie mächtig ist Aleksandar Vucic?

Vucic ist aufgrund der derzeitigen geopolitischen Lage sehr mächtig. Unter US-Präsident Biden spielten die USA noch eine massive Rolle in der Region, doch nun gibt es ein Vakuum, weil die USA wegfallen. Die EU hat noch keinen Plan gefunden, das Vakuum zu füllen. Dies hilft Vucic, seine durchaus auch hegemonialen Interessen in der Region auszubauen. Im Land kontrolliert er alles, von den Medien über das Parlament, die Justiz und die Geheimdienste bis ins Innenministerium. Das Volk wird seit Jahren mit Dauerpropaganda beschallt. Er hat Gewaltenteilung und Demokratie unterhöhlt. Das bleibt auch so.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

Rendez-vous, 7.4.2025, 12:30 Uhr ; 

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