Der UNO-Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer, hatte Julian Assange am 9. Mai im Gefängnis besucht – gemeinsam mit Medizinern. Danach mahnte Melzer, dass Assange alle Symptome eines psychologischen Traumas zeige. Der Fall des Whistleblowers ist für ihn ein drohender Präzedenzfall, den es zu verhindern gilt, wie er im Interview erklärt.
SRF News: Nils Melzer, Sie haben Julian Assange besucht, nachdem seine Anwälte Sie mehrmals kontaktiert hatten. In welchem Zustand haben Sie ihn angetroffen?
Nils Melzer: Es war eine schwierige Situation. Ich ging mit einem forensischen Experten und einem Psychiater, die auf die Untersuchung von Folter spezialisiert sind. Julian Assange zeigte alle Symptome, die typischerweise bei Menschen beobachtet werden, die über längere Zeit psychologischer Folter ausgesetzt worden sind. Man spricht hier von einer psychologischen Traumatisierung, chronischen Angstzuständen, konstantem Stress und schwere Depressionen.
In Ihrem Bericht schreiben Sie, dass Assange seit Jahren einem extrem feindseligen und willkürlichen Umfeld ausgesetzt sei. Was meinen Sie konkret?
Die USA versuchten an ihm ein Exempel zu statuieren, damit das Vorgehen der Enthüllungsplattform Wikileaks keine Nachahmer findet. Aus dieser Situation heraus entwickelten sich dann die Gerichtsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs gegen Assange, die aber nie zu Anklagen führten. Es wurde ständig das Bild des verdächtigten Sexualstraftäters verbreitet, ohne dass er sich hätte verteidigen können.
Das stimmt so nicht. Er wurde ja angehört in Schweden.
Ja, er hat sich sogar selbst der Polizei gestellt. Das Verfahren wurde dann geschlossen und er durfte das Land verlassen. Kurz darauf wurde das Verfahren aber von einem anderen Staatsanwalt wieder aufgegriffen.
Sie haben das Gefühl, die USA würde die anderen Staaten gezielt dazu auffordern, Herrn Assange quasi weichzuklopfen?
Auf jeden Fall unter Druck zu setzen, ja. Und Verfahren gegen ihn auszulösen. Es gibt mehrere geleakte E-Mail-Korrespondenzen zwischen Behörden, die in diese Richtung gehen. Gerichtsverfahren sind natürlich eine Möglichkeit, jemanden in die Ecke zu drängen. Dazu kommt eine breite Kampagne, die ich Public Mobbing nenne. Assange wird beleidigt, lächerlich gemacht und bedroht. Es gibt Politiker, die nach seiner Ermordung gerufen haben.
Assange hielt sich freiwillig in der ekuadorianischen Botschaft in London auf. Er hatte eine Katze und durfte Besuch empfangen. Kann man unter diesen Umständen von Folter sprechen?
Der britische Aussenminister hat gestern getwittert, dass Assange ja jederzeit die Botschaft hätte verlassen können. Ich habe dann zurückgeschrieben: Ja, er war etwa so frei, die Botschaft zu verlassen, wie ein Mensch, der in einem Haifischbecken auf einem Gummiboot sitzt. Assange weiss, dass er weder in Schweden, noch in Grossbritannien oder den USA ein faires Verfahren bekommen wird.
Gefoltert wird ja in vielen Ländern. Warum ist Ihnen dieser Fall so wichtig?
Weil er ein Präzedenzfall werden könnte, der die Pressefreiheit weltweit stark gefährden könnte. Dieser Mann hat geheime, unangenehme Informationen über Kriegsverbrechen und Korruptionsfälle veröffentlicht. Eigentlich macht er nur, was investigative Journalisten auf der ganzen Welt machen. Durch die Zerstörung seiner Reputation, wird es akzeptabel für die Öffentlichkeit, dass man an ihm ein Exempel statuiert. Da können wir noch eine böse Überraschung erleben.
Das Gespräch führte Judith Huber.