Vor hohen russischen Militärs kam Wladimir Putin auf die Spannungen zu sprechen, die sich zwischen Russland und dem Westen akzentuiert haben, seit der Kreml an der Grenze zur Ukraine massiv Truppen aufmarschieren lässt. Russland werde seine Armee weiter ausbauen und auf westliche Aggressionen reagieren, so die Botschaft. SRF-Korrespondent David Nauer über russische Befindlichkeiten in aufgeheizter Atmosphäre.
SRF News: Putin macht auf Powerplay. Wie sind diese Botschaften aus Russland zu interpretieren?
David Nauer: Offenkundig hat alles miteinander zu tun: der Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine, die Drohungen gegen das Nachbarland, die Forderungen an die Nato. Mir scheint, dass der Kreml die europäische Sicherheitsarchitektur neu ordnen will. Er meint es ernst und unternimmt an verschiedenen Fronten diverse Schritte.
Warum pocht Putin gerade jetzt auf eine Neuordnung der europäischen Sicherheitsarchitektur?
Der Ausgangspunkt ist die Entwicklung in der Ukraine in den letzten Monaten. Bekanntlich hat Russland 2014 die Krim annektiert und einen Krieg in der Ostukraine entfesselt.
Putin denkt wie ein Feldherr oder Stratege im 19. oder 20. Jahrhundert. In dieser Logik braucht Russland strategische Tiefe. Zwischen Russland und dem potenziellen Feind, dem Westen, müssen einige hundert Kilometer Puffer sein.
Die Strategen im Kreml dachten damals, dass sie auf diese Weise einen Hebel in der Hand hätten, um eine Annäherung der Ukraine an den Westen zu unterbinden. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass das nicht funktioniert. Sieben Jahre später sucht die Ukraine immer mehr die Annäherung an den Westen und auch an die Nato.
Was stört Putin daran, wenn die Nato näher rückt – hat er Angst, dass die Nato Russland angreifen würde?
Einerseits denkt Putin wie ein Feldherr oder Stratege im 19. oder 20. Jahrhundert. In dieser Logik braucht Russland strategische Tiefe. Zwischen Russland und dem potenziellen Feind, dem Westen, müssen einige hundert Kilometer Puffer sein. So haben auch die Zaren und die Sowjetführer wie Stalin gedacht. Wenn nun US-Soldaten die ukrainische Armee trainieren, schrillen bei Putin die Alarmglocken.
Viele Beobachter und auch ich haben lange gedacht, dass die Russen nur bluffen mit ihrem Truppenaufmarsch. In den letzten Wochen mehren sich aber die Anzeichen, dass es Russland durchaus ernst sein könnte.
Diese militärische Seite ist aber nur ein Aspekt. Putin ist beseelt von der Idee, dass die Ukraine ein Teil Russlands sei. Er glaubt meines Erachtens, er habe eine historische Aufgabe, die Ukraine wieder heim in den Schoss von Mütterchen Russland zu bringen. Die Ukrainer selber haben aber nicht die geringste Lust auf eine Rückkehr unter Moskaus Fuchtel.
Putin sagte vor den russischen Generälen aber auch, dass der Vorschlag von letzter Woche kein Ultimatum sei, und dass der Westen kooperationsbereit sei. Ist Putin bereit, ernsthaft mit dem Westen zu verhandeln?
Das wissen wir nicht. Es stimmt zwar, dass Putin Dialogbereitschaft signalisiert hat. Gleichzeitig hat er aber gewarnt: Wenn der Westen nicht hören wolle, müsse Russland militärisch-technische Massnahmen ergreifen. Was auch immer das heisst. Wenn man optimistisch ist, kann man hoffen, dass das alles nur Brimborium ist und es Russland nur darum geht, Verhandlungen mit dem Westen zu erzwingen.
Wie sieht die weniger optimistische Sicht aus?
Dass es Krieg geben wird. Also dass Russland die Ukraine angreifen wird. Viele Beobachter und auch ich haben lange gedacht, dass die Russen nur bluffen mit ihrem Truppenaufmarsch. In den letzten Wochen mehren sich aber die Anzeichen, dass es Russland durchaus ernst sein könnte. Nicht nur geht der Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze unaufhörlich weiter.
Die ukrainischen Behörden rechnen auf jeden Fall mit dem Schlimmsten. Es gab heute Meldungen aus Kiew, dass alte Bombenkeller aus dem Kalten Krieg wieder in Betrieb genommen werden.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.