Der Kontakt zwischen dem berühmtesten russischen Oppositionellen Alexej Nawalny und seinem Umfeld ist vor sechs Tagen abgebrochen. Dies, nachdem der Inhaftierte angeblich wegen einer Strompanne nicht zu einer gerichtlichen Anhörung zugeschaltet worden war.
Im Gefängnis, wo Nawalny bisher einsass, heisst es, der 47-Jährige sei nicht mehr dort. Nawalnys Anwälte befürchten, er sei in ein Straflager mit härteren Haftbedingungen verlegt worden. Sie berichten regelmässig über die schwierigen Haftbedingungen und häufigen Schikanen, unter denen sich der Gesundheitszustand Nawalnys stark verschlechtert habe.
Russische Beamte schieben oft technische Probleme vor, wenn sie etwas nicht sagen wollen.
Der unklare Verbleib Nawalnys löse im Umfeld Nawalnys grosse Sorge und Fragen aus, sagt Russland-Korrespondent Christof Franzen in Moskau. Wie glaubwürdig die Aussagen der Behörden über die angebliche Strompanne sind, sei schwierig zu beurteilen. Russische Beamte schöben oft technische Probleme vor, wenn sie etwas nicht sagen oder die wahren Beweggründe für ihre Entscheidungen nicht bekannt machen wollten.
Absurde Anschuldigungen
Nawalnys neunjährige Freiheitsstrafe wegen Extremismus war im Sommer auf 19 Jahre erhöht worden. Er selbst, seine Anhängerschaft und viele internationale Beobachter sprechen von absurden Anschuldigungen und einem eindeutig politischen Prozess des russischen Staates.
Momentan stünden die Chancen für Nawalny schlecht, in absehbarer Zukunft wieder aus dem Gefängnis zu kommen, schätzt Franzen. Das Schicksal von Nawalny sei mittlerweile viel weniger im internationalen Fokus als vor der Verhaftung vor zwei Jahren. Sein Fall werde zugleich vom russischen Krieg in der Ukraine überschattet.
Eine Freilassung wäre laut Franzen vielleicht möglich, wenn Nawalny ein Gnadengesuch stellen würde. Dafür müsste er sich aber selber schuldig bekennen, wonach es im Moment ebenfalls nicht aussehe.
Putin hat seine Kritiker im Griff
Vom Bekanntheitsgrad her ist Nawalny laut Franzen nach wie vor die wichtigste Stimme, die Putin auch vom Gefängnis aus kritisiert. Auch mithilfe seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die in Artikeln und Videos den – wie sie sagen – unrechtmässigen Reichtum der russischen Machtelite anprangern.
Putin, der bei den Wahlen im kommenden Frühling nochmals antreten will, verspürt auch Druck vom imperialistisch-nationalistischen Lager. Dieses kritisiert, dass der Krieg in der Ukraine nicht mit genügend Mitteln geführt werde, und fordert den totalen Krieg.
Doch auch dieses Lager ist geschwächt: Mit Igor Girkin sitzt inzwischen auch einer der bekanntesten Vertreter der Ultranationalisten in Haft. Und Jewgeni Prigoschin, der im Sommer einen Aufstand gegen die Armeeführung angezettelt hatte, kam im August bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.