«Wenn die Nato unsere Atomkraftwerke angreift, müssen wir Angriffe auf ukrainische Kernkraftwerke sowie auf kerntechnische Anlagen in Osteuropa erwägen. Da gibt es nichts, wofür man sich schämen müsste», so Dmitri Medwedew jüngst in seinem Telegram-Kanal.
Schämen tut sich Medwedew, aktuell stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates der Russischen Föderation, wohl schon lange nicht mehr. Seit Beginn des Grossangriffs auf die Ukraine fällt er mit bizarren, aggressiven Statements auf. Ein Beispiel aus dem vergangenen November: «Wir kämpfen gegen einen Haufen verrückter Nazi-Drogensüchtiger und ein Rudel bellender Hunde aus dem westlichen Zwinger.»
Den gemässigten Medwedew gibt es nicht mehr
Auch atomare Drohungen sind für Medwedew keine Neuheit. Er verweist seit Monaten gerne auf die Einsatzbereitschaft von Russlands Nukleararsenal. Vorbei ist die Zeit, als Medwedew mit US-Präsident Barack Obama einen Vertrag zur atomaren Abrüstung unterzeichnete und von einer Win-win-Situation sprach.
Das war im April 2010, während Medwedews vier Jahren als Präsident Russlands. Medwedew war Wladimir Putins auserkorener Nachfolger. Doch die Unterschiede im Regierungsstil zeigten sich schnell. Medwedew gab sich in Russland an der Modernisierung von Wirtschaft und Polizei interessiert und versuchte sich als Korruptionsbekämpfer. Unter vielen liberalen Russinnen und Russen wurde er zu einer Art Hoffnungsträger.
Im Ausland punktete Medwedew nicht nur mit seinem Annäherungskurs, sondern auch mit einem betont lockereren Auftreten. Bei seinem Staatsbesuch in der Schweiz überraschte er mit einem unüblichen Geschenk. Er schenkte der Stadt Bern zwei kleine Bären. In den USA unternahm er mit Obama einen Ausflug in eine Burgerbude.
Das relative Tauwetter hielt nicht lange. 2012 kehrte Putin zurück ins Präsidentenamt, nachdem er vier Jahre lang als Premier amtiert hatte. Medwedew musste mit ihm die Rolle tauschen. Die Beziehung Russlands zum Westen wurde wieder kühler.
Zweifellos wird Medwedews Amtszeit bis zu einem gewissen Grad verklärt. Ein echter Demokrat war er nie. Und er verantwortete als Oberbefehlshaber die russische Invasion Georgiens im Jahr 2008.
Ich hasse unsere Feinde. Sie sind Bastarde, Abschaum.
Doch im Hintergrund fällte auch damals Putin noch viele Entscheide. An Medwedew hing das Image eines Gemässigten. Sein plötzlicher Gesinnungswandel seit der russischen Grossoffensive kam für viele in Russland unerwartet.
Medwedew selbst erklärte sich in einer Kurznachricht so: «Ich werde oft gefragt, warum meine Beiträge auf Telegram so harsch sind. Meine Antwort ist, dass ich unsere Feinde hasse. Sie sind Bastarde, Abschaum. Sie wollen, dass wir, Russland, sterben. Und solange ich lebe, werde ich alles tun, um sie verschwinden zu lassen.»
Es gehört zum System von Wladimir Putin, dass seine Gefolgsleute seine Rhetorik übernehmen und ins Extreme treiben, um ihre Loyalität zu beweisen. Das ist bei der kriegslustigen und nationalistischen Propaganda der sogenannten Spezialoperation in der Ukraine nicht anders.
Doch Dimitri Medwedew ist ein Spezialfall. Sein Ruf als Liberaler ist zur Hypothek geworden. Gerade in Zeiten des Krieges und der verschärften Repression darf kein Verdacht aufkommen, er sei nicht auf Linie des Kremls. Mit seinen befremdlichen Posts will er laut Beobachterinnen und Beobachtern vor allem eines erreichen, dass er über jeden Zweifel erhaben ist.