Die AfD in Deutschland, die FPÖ in Österreich oder das Rassemblement National in Frankreich: Seit Jahren sind rechtsnationale Parteien in Europa im Aufwind. Bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich am Sonntag holte Marine Le Pen, die Vorsitzende des Rassemblement National, über 40 Prozent der Stimmen. Der deutsche Historiker Ralf Melzer warnt: Die europäischen Gesellschaften seien gespalten – und die radikale Rechte würde dies gezielt ausnutzen.
SRF News: Bei der Wahl in Frankreich verliert Marine Le Pen zwar gegen Emmanuel Macron, holt aber trotzdem mehr als 41 Prozent der Stimmen. Ist das nun eine Schlappe oder ein Erfolg für den Rechtsnationalismus in Frankreich?
Ralf Melzer: Le Pen hat selbst betont, dass es ein grosser Erfolg für sie gewesen sei. Leider ist da auch etwas dran. Das Ergebnis mag auf den ersten Blick deutlich aussehen. Bei genauerer Betrachtung ist aber beunruhigend, dass Le Pen ihr bestes Ergebnis eingefahren hat und noch einmal deutlich stärker als bei den letzten Wahlen war. Sie hat in vielen Teilen Frankreichs zugelegt, während Macron im Vergleich zur Stichwahl 2017 Stimmen eingebüsst hat. Die Erleichterung ist also da, Anlass zur Entwarnung gibt es aber nicht.
Erleichterung ist da, Anlass zur Entwarnung gibt es aber nicht.
Inwiefern ist Le Pens Resultat sinnbildlich für den Rechtsnationalismus allgemein in Europa?
Es steht exemplarisch für die gespaltenen Gesellschaften. Das hat man auch bei der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten gesehen. Umfragen und empirische Studien zeigen, dass abwertende, diskriminierende Einstellungen in Europa und auf der ganzen Welt weit verbreitet sind. Mit diesem Potenzial an Wählerstimmen arbeiten diese Parteien. Sie bedienen gezielt Ressentiments, nutzen Verunsicherung in der Bevölkerung aus und präsentieren Sündenböcke. In der Regel in Form von Migranten oder Asylsuchungen.
Man möchte sich gar nicht vorstellen, was ein Präsident Trump derzeit mit dem Ukraine-Krieg bedeuten würde.
Sie instrumentalisieren damit Verunsicherung und Ängste in der Gesellschaft. Wir müssen uns mit diesem Phänomen weiter auseinandersetzen. Denn es ist eine Gefährdung unserer Demokratie und Gesellschaften. Denn das Programm und die Ziele dieser radikal rechten Akteure sind ganz andere: Sie wollen eine autoritäre, illiberale Gesellschaft.
Das ist dann auch die konkrete Gefahr, die Sie mit dem Aufstieg des Rechtsnationalismus verbinden?
Richtig. Das sieht man auch mit der AfD in Deutschland. Im Grunde handelt es sich in Deutschland ja um eine verspätete Entwicklung. Inzwischen ist die AfD aber in allen Parlamenten der Bundesländer und dem Deutschen Bundestag vertreten. Das letzte Wahlergebnis war zwar ein Dämpfer für die Partei. Diese Leute sitzen aber nach wie vor im Bundestag. Das bleibt eine Gefahr und wir sollen diese nicht unterschätzen. Auch Trump arbeitet an seinem Comeback. Man möchte sich gar nicht vorstellen, was ein Präsident Trump derzeit mit dem Ukraine-Krieg bedeuten würde.
Die demokratischen Parteien müssen sehr sorgfältig auf diese Ergebnisse schauen und klar sein in ihrer Programmatik. Sie müssen Alternativen anbieten und deutlich machen, dass dieses Schwarz-Weiss, dieses «Wir-gegen-die-Anderen», keine Lösung für politische Probleme ist. Die radikale Rechte und Populisten geben einfache Antworten auf schwierige Fragen.
Das Gespräch führte Vera Deragisch.