Villers-Cotterêts hat in Frankreichs Nationalgeschichte einen prominenten Platz. Hier erklärte König François Premier 1539 Französisch offiziell zur Amtssprache. Villers-Cotterêts ist auch die Stadt von Alexandre Dumas, der bis heute der populärste Schriftsteller Frankreichs ist.
Unweit von Dumas Denkmal steht eine kleine Gruppe älterer Leute und diskutiert auch über die Präsidentschaftswahl: Sie denke, Macron schaffe es diesmal nicht mehr, sagt eine Rentnerin: «Hier leben vor allem Arbeiter, einfache Leute. Der Mittelstand verarmt immer mehr.»
Ihr Mann beschwert sich über die Umweltpolitik der Regierung. Schikanöse Vorschriften für Autos zum Beispiel. Zuerst hohe Steuern für Dieselfahrzeuge, dann Einschränkungen für Benzinmotoren und jetzt wolle die Regierung sogar Elektroautos vorschreiben: «Einfache Leute können das nicht bezahlen», klagt er.
Klartexterin Le Pen – Schönredner Macron
Die Frau hat ihren Mann bei der Hand genommen und zieht ihn weg. Die Regierung Macron kommt in Villers-Cotterêts nicht gut weg. Ein Regierungswechsel wäre gut, meint auch Josseline: «Es gibt zu viele Migranten, die meist nicht arbeiten und von der üppigen Sozialhilfe profitieren.»
Josseline, Ende sechzig, ist Rentnerin. Über 20 Jahre lang hatte sie eine gute Stelle bei einer Leasinggesellschaft. Dann wurde das Unternehmen umstrukturiert, Josseline wurde arbeitslos. Als damals 50-Jährige habe sie nur noch befristete Stellen gefunden, sagt sie. Dies drücke heute ihre Rente. Sie erhalte knapp 1300 Euro pro Monat.
Die hohe Teuerung der letzten Monate spürt Josseline im Alltag. Ihr gefällt, dass Marine Le Pen dieses Thema aufgreift: «Sie spricht einfach und verständlich. Im Unterschied zu Emmanuel Macron, der zwar schöne Sätze macht – aber ohne Inhalt.»
Das Misstrauen vieler Leute gegenüber Marine Le Pen sei unbegründet. Sie werde zu Unrecht mit ihrem Vater Jean-Marie Le Pen gleichgesetzt. Dieser sei rechtsextrem gewesen, Marine aber nicht.
Marine Le Pen wählen will auch Séverine, Anfang vierzig. Im ersten Wahlgang hat sie für den rechtsextremen Publizisten Eric Zemmour gestimmt: Weil er Frankreich retten und den grossen Austausch der Bevölkerung verhindern wolle. In Paris gebe es bereits heute Quartiere, wo Muslime Überhand bekommen hätten und die Regeln diktierten. Dies sei nicht mehr Frankreich. In Villers-Cotterêts sei dies zum Glück noch anders.
«Politisch gereift und regierungsfähig»
Dass dies in Villers-Cotterêts so bleibt, dafür sorgt seit acht Jahren Stadtpräsident Franck Briffaut. Mitte sechzig, jovial im Umgang, kommt er in seiner Stadt offensichtlich gut an: bei den Gemeindewahlen vor zwei Jahren haben ihn die Wählerinnen und Wähler mit über 50 Prozent der Stimmen bereits im ersten Wahlgang als Maire bestätigt.
Marine Le Pen habe aus den Fehlern des Wahlkampfs gelernt, sagt Briffaut. Sie sei politisch gereift und heute regierungsfähig, wie das Rassemblement National auch. Es sei heute keine reine Protestpartei mehr, sondern habe sich auf die Übernahme der Macht vorbereitet. Die Partei habe politische Vorschläge für Frankreich entwickelt, die unter Französinnen und Franzosen immer breitere Unterstützung fänden.
Damit spricht Briffaut auch in eigener Sache – und er versteckt dies auch nicht: Das Kapitel Transport im Wahlprogramm Le Pens stammt aus seiner Feder. In Villers-Cotterêts hört man darum das Gerücht, dass der Stadtpräsident Transportminister werden soll, wenn Marine Le Pen am Sonntag zur Präsidentin Frankreichs gewählt werden sollte.