Fast hätte es im ersten Wahlgang gereicht und in Frankreich wäre der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon Herausforderer von Amtsinhaber Emmanuel Macron geworden. Sagenhafte 22 Prozent der Stimmen erhielt Mélenchon im ersten Wahlgang – doch Le Pen erhielt ein Prozent mehr.
Damit stehen sich am Sonntag in der Stichwahl wie vor fünf Jahren erneut Le Pen vom extrem rechten Rassemblement National und der Liberale Emmanuel Macron gegenüber. Das Zünglein an der Waage könnte dieses Mal die Wählerschaft der Partei La France Insoumise von Mélenchon werden. Doch wie wird sie stimmen?
Stimmen sammeln für die Parlamentswahl
Suche nach Antworten auf dem Markt von Moulins, einem Quartier im Süden des nordfranzösischen Lille: Bruno und seine Mitstreiter von La France Insoumise verteilen hier Wahlflyer. Als Merci, als Dankeschön an die Wählerschaft für die Stimmen im ersten Wahlgang.
Noch sei nicht alles verloren, sagen sie den Leuten. «Wir machen weiter. Im Juni sind Parlamentswahlen, da brauchen wir eure Stimmen!» Das Quartier Moulins ist eines der ärmsten Viertel von Lille. Früher gab es hier einmal viel Arbeit. In der Industrie. Das war, bevor eine Fabrik nach der anderen schloss.
60 Prozent Stimmen für den Linkspopulisten
Hier haben fast 60 Prozent der Wählerinnen und Wähler im ersten Wahlgang für Mélenchon gestimmt, waren danach enttäuscht und gleichzeitig stolz. Und jetzt? «Zuerst wollte ich gar nicht mehr wählen gehen», sagt einer, der an einem kleinen Marktstand Bücher verkauft.
«Dann habe ich nachgedacht. Ich werde nun mit viel Bitterkeit Emmanuel Macron wählen», fährt der Mann fort. «Nicht, weil ich sein Programm mag. Sondern um Marine Le Pen zu verhindern.»
Ich frage mich: Wer von den beiden ist schlimmer: Le Pen oder Macron?
«Keine einzige Stimme für Marine Le Pen», hatte Mélenchon seinen Anhängerinnen und Anhängern eingetrichtert. Und doch gibt es Zweifel: «Eigentlich will ich meine Stimme nicht Marine Le Pen geben, aber ich frage mich trotzdem: Wer von den beiden ist wirklich schlimmer: Macron oder Le Pen?» sagt ein anderer junger Mélenchon-Wähler.
Macron sei ihm zu neoliberal, zu elitär, zu wenig grün, zu wenig sozial. Und Le Pen zu extrem. Und so überlege er sich, zum allerersten Mal vielleicht gar nicht wählen zu gehen.
Viele könnten der Stichwahl fernbleiben
Er wäre keine Ausnahme. Eine Umfrage von Mélenchons Partei bei der Basis ergab kürzlich, dass rund zwei Drittel von ihnen bei der Stichwahl am Sonntag nicht an die Urne gehen, oder leer einlegen wollen. Sie zu überzeugen, könnte wahlentscheidend sein. Entsprechend werden sie umgarnt.
«Wir sind anscheinend salonfähig geworden», spottet Bruno, der Aktivist von La France Insoumise, der auf dem Platz Flyer verteilt. Mehr als sieben Millionen Französinnen und Franzosen hätten Mélenchon gewählt. Jetzt wolle man diese vereinnahmen.
So versprach Macron vor wenigen Tagen etwa, er wolle beim Umweltschutz vorwärts machen. Im Fall seiner Wiederwahl werde er den Premierminister persönlich mit der «ökologischen Planung» beauftragen. Dabei ist «la planification écologique» ein Begriff aus der Feder Mélenchons.
«Er hat fünf Jahre lang viel versprochen und man fragt sich, warum er es nicht schon früher getan hat», sagt Bruno. Offensichtlich sei das blosse Wahlkampfrhetorik, darauf gehe er nicht ein. Wählen gehen wird Bruno trotzdem. Zwar sagt er, nicht wen – bloss: «Keine Stimme für Marine Le Pen.»