Ein kleines Dorf macht seit Tagen grosse Schlagzeilen: Lüzerath im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen soll vollständig abgerissen werden, damit Braunkohle abgebaut werden kann. Nach fünf Tagen hat die Polizei das Dorf vollständig geräumt. Mehrere hundert Klimaaktivistinnen und -Aktivisten hatten den Ort tagelang besetzt. Beim Protest kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und Polizeikräften. Mit dabei war auch die Schweizer Klimaaktivistin Annika Lutzke.
SRF News: Warum demonstrieren Sie in Lützerath gegen den Kohleabbau? Eigentlich ist ja bereits entschieden, dass in dieser Region weniger Kohle abgebaut werden darf.
Annika Lutzke: Es ist absurd, dass immer noch Menschen enteignet und zwangsumgesiedelt werden, um Braunkohle zu fördern – die dreckigste Energiequelle überhaupt. Und in dem Abkommen, das Sie erwähnen, ist nur die Rede von Jahreszahlen. Der Kohleausstieg in Deutschland soll spätestens 2038 enden, wird sich aber bereits nach 2030 wegen des Emissionshandelssystems finanziell gar nicht mehr lohnen.
In der aktuellen Energiekrise mit hohen Preisen rechnet der Energiekonzern RWE nun damit, dass in kürzerer Zeit noch mehr Kohle abgebaggert und verfeuert wird, als bis 2038 geplant ist.
Bei den Protesten gab es Verletzte auf Seiten der Aktivisten wie auch bei der Polizei. Ist das noch im Interesse eines friedlichen Protestes?
Es kann nicht im Interesse der Gesellschaft sein, dass ein Polizeieinsatz für tausende oder sogar Millionen Euro durchgeführt wird. Es sind tausende Polizeibeamte im Einsatz, um einen friedlichen Protest zu räumen. Auf unserer Seite wurden Dutzende Menschen ins Krankenhaus eingeliefert, auch auf Seiten der Polizei gab es einige Verletzte. Sie hat aber selbst zugegeben, dass viele Verletzungen davon kamen, dass sie im Schlamm gestürzt oder anderweitig verunglückt sind.
Haben Protestierende die Konfrontation gesucht, damit es Schlagzeilen gibt?
35'000 Menschen haben sich versammelt, um für den Erhalt von Lützerath einzustehen. Es ist eine Frechheit, dass wir für diesen Protest nicht in das Dorf hereingelassen wurden. Deswegen haben sich Menschen zusammengeschlossen und sich gewehrt. Sie wollten an dem Ort, an dem diese Zerstörung passiert, protestieren. Doch die Polizei wollte das verhindern und hat eine Festung aufgebaut.
Am Sonntagnachmittag gab es in Lützerath nur noch wenige Protestierende, die sich verschanzt hatten. Ansonsten ist alles abgeriegelt und Baumaschinen sind bereits an der Arbeit. Was bringt Ihr Protest noch?
Unser Kampf ist noch nicht vorbei. Er hat aber auch nicht erst mit Lützerath angefangen. Er hat angefangen mit indigenen Menschen, die im globalen Süden seit hunderten Jahren gegen die koloniale Umweltzerstörung gekämpft haben. Wir haben diesen Kampf in Lützerath weitergeführt und machen das so lange, wie die 280 Millionen Tonnen Kohle noch im Boden sind. Wir planen Aktionen und kämpfen dafür, dass wir sofort aus der dreckigen Kohle aussteigen und eine klimagerechte Zukunft aufbauen können.
Sie wollen also noch wochenlang vor Ort protestieren, obwohl Sie damit gar nichts mehr erreichen?
35'000 Menschen sind nach Lützerath gekommen, um zu protestieren. Daran erkennen wir, dass wir etwas erreicht haben. Weltweit erleben wir Solidaritätsbekundungen, Menschen schliessen sich unserem Protest an. Wir konnten hier ein grosses und entscheidendes Momentum für die Klimagerechtigkeitsbewegung schaffen.
Das Gespräch führte Rino Curti.