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Raketen auf Israel «Iran macht damit klar, noch mehr in der Hinterhand zu haben»

Iran hat Israel mit Raketen angegriffen. Bisher war Iran eher zurückhaltend gegenüber Israel, trotz der Ermordung von Hamas-Chef Hanija, Hisbollah-Chef Nasrallah und der israelische Bodenoffensive in Libanon. Der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze nimmt in der Sendung «10 vor 10» eine Einschätzung der aktuellen Entwicklung im Nahen Osten vor.

Reinhard Schulze

Islamwissenschaftler

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Der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze studierte von 1974 bis 1981 Orientalistik und Islamwissenschaft, Romanistik und Linguistik an der Universität Bonn. Von 1987 bis 1992 wirkte er als Professor für Orientalische Philologie an der Ruhr-Universität Bochum, zwischen 1992 und 1995 als Professor für Islamwissenschaft und Arabistik an der Universität Bamberg. Ab 1995 bis zu seiner Emeritierung 2018 war er ordentlicher Professor für Islamwissenschaft und Neuere Orientalische Philologie an der Universität Bern. Schulz' wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt auf der Erforschung des sozialen Wandels im Kontext der islamischen Welt.

SRF News: Irans Präsident Massud Peseschkian hat sich zu Wort gemeldet: Das sei nur «Bruchteil unserer Fähigkeiten» gewesen. Wie beurteilen Sie den Ton gegenüber Israel?

Reinhard Schulze: Das ist interessant, denn Peseschkian macht damit klar, dass es die iranischen Revolutionsgarden waren, die den Angriff gestartet haben und nicht die iranische Armee. Das heisst: Es gibt noch eine weitere Eskalationsmöglichkeit, denn im Moment ist es noch ein Konflikt zwischen den Revolutionsgarden und Israel. Es könnte also noch zu einem Konflikt zwischen Iran und Israel kommen. Irans Präsident Peseschkian macht damit klar, dass Iran noch Dinge in der Hinterhand hat, von denen Israel noch gar nichts weiss.

Die Eskalation kann nicht gestoppt werden, aber man kann sie kontrollieren.

Stand also Iran unter Druck, jetzt zu reagieren?

Iran musste handeln, denn die Verbündeten könnten Iran den Rücken kehren, weil er ihnen nicht hilft. Auf der anderen Seite will Iran auch zeigen, dass es den Krieg nicht so führt, dass die eigenen imperialen Interessen gefährdet sind oder die Iranische Republik durch israelische Gegenschläge gefährdet wäre. Mit dem Tod von Hisbollah-Chef Nasrallah ist nun der Punkt erreicht worden, an dem die iranische Führung diesen Konflikt mit Israel gewagt hat.

Inzwischen sind so viele Konfliktherde entstanden, dass man nicht mehr weiss, wer die Kontrolle darüber hat.

Es geht alles in Richtung Eskalation. Sehen Sie eine Möglichkeit, diese Spirale noch zu stoppen?

Die Eskalation kann nicht gestoppt werden, aber man kann sie kontrollieren. Die USA, Israel, aber auch Iran versuchen, eine Art von Kontrolle auszuüben, um diese Eskalation nicht in ein Chaos münden zu lassen. Aber inzwischen sind schon so viele Konfliktherde entstanden, dass man nicht mehr weiss, wer jetzt die Kontrolle darüber hat. Da kann es sein, dass im Libanon etwas passiert, was Iran zum Gegenschlag zwingt. Oder Israel reagiert in Iran mit einem Angriff auf deren Raketenabschussbasen. Damit käme es zu einer Eskalation, deren Ausmass nicht absehbar ist.

Menschenmenge verbrennt eine grosse Israel-Flagge.
Legende: Iranische Demonstrierende verbrennen eine Israel-Flagge nach den Raketenangriffen auf das verfeindete Land. (1.10.2024) Reuters / West Asia News Agency, Majid Asgaripour

Ein Flächenbrand im Nahen Osten?

Es könnte zu einem Flächenbrand zusammenwachsen. Im Augenblick sind es noch einzelne Brandherde: Libanon, Syrien, Iran, Jemen mit dabei. Und es könnte sein, dass es zu einem grösseren Flächenbrand kommt, in dem alle Konflikte zusammenkommen.

Es kann sein, dass es zu einer Überdehnung für Israel kommt, weil zu viele Fronten und auch Akteure existieren.

Eine wichtige Rolle spielen die USA. Der Einfluss scheint aber sehr begrenzt zu sein.

Es ist erstaunlich, was für eine schwache Position die USA derzeit haben. Sie sind entscheidend bei der Unterstützung von Israel dabei, aber sie können derzeit nur versuchen, zu deeskalieren.

Überschätzt sich Israel nicht mit so vielen Fronten?

Es kann sein, dass es zu einer Überdehnung für Israel kommt, weil zu viele Fronten – Gaza, Libanon, Iran – und auch Akteure existieren, die Israel nicht mehr alle kontrollieren kann. Das kann für Israel bedeuten, in eine Konfliktsituation auch im Land selbst zu kommen, die in der alten, militärischen Planung so gar nicht vorgesehen war.

Das Gespräch führte Urs Gredig.

Krieg im Nahen Osten

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Die Konflikte in Israel, im Westjordanland, im Gazastreifen und in Libanon halten an. Hier finden Sie alle unsere Inhalte zum Krieg im Nahen Osten.

10 vor 10, 1.10.2024, 21:50 Uhr ; 

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