Der Angriff auf einen Fussballplatz in den Golanhöhen droht, einen Flächenbrand zu entzünden – obwohl weder Israel noch die Hisbollah ein Interesse daran hätten, so Konfliktforscher Jannis Grimm. Heute sei die Lage aber anders als noch beim letzten Krieg 2006.
SRF News: Warum dieser Angriff auf eine Kleinstadt auf den Golanhöhen?
Jannis Grimm: Wichtig ist zu betonen, dass die angegriffene Stadt auf den syrischen, von Israel besetzten Golanhöhen liegt. Die Bevölkerung besteht zum grösstenteils aus syrischen Drusen, die sich selbst nicht als Israeli sehen. Sie äussern Unterstützung für Palästina und dienen nicht in der Armee. Sie gingen nicht zu Wahlen, sind arabischsprachig und haben enge Bezüge zu Drusen in Libanon. Das deutet darauf hin, dass es sich um ein Versehen gehandelt haben könnte.
Die Hisbollah hätte also kein Motiv, die Stadt anzugreifen?
Zunächst führt die Hisbollah seit Oktober viele Angriffe aus, auch auf die Golanhöhen. Es ist etwas anderes in der Eskalationsdynamik, die Golanhöhen anzugreifen, als direkt die israelischen Städte. Es gab auch seit Oktober immer wieder Raketen, die in der Umgebung eingeschlagen sind. Aber dies hat sich fast ausschliesslich auf militärische Installationen oder verlassene zivile Gebiete beschränkt. Es gibt keinen strategischen Grund für den Angriff auf Zivilisten und Zivilistinnen. Naheliegender ist, dass die Hisbollah versuchte, die israelische Abwehrstation auf dem Mount Hermon anzugreifen und stattdessen den Ort 3.5 Kilometer entfernt traf.
Israel droht mit Vergeltung. Ist das der Funke, der einen Flächenbrand entzünden könnte?
Ich hoffe nicht. Vielen ist wohl nicht bewusst, was ein solcher Flächenbrand bedeuten würde. 2006 fand zuletzt ein Bodenangriff zwischen der israelischen Armee und der Hisbollah statt. Seither ist viel passiert, die Hisbollah ist kampferprobter geworden. Sie ist viel zentraler in der «Achse des Widerstandes». Es würde nicht mehr so ausgehen wie 2006. Es ist wirklich ein Pulverfass.
Ob die Hisbollah den Angriff beabsichtigt hat oder nicht, ist letztlich irrelevant.
Alle Bemühungen weisen darauf hin, dass man es zu verhindern versucht – auch von iranischer und amerikanischer Seite. Ob die Hisbollah den Angriff beabsichtigt hat oder nicht, ist letztlich irrelevant. Fakt ist, er hat die Bedrohungswahrnehmung in Israel massiv erhöht und ist Wasser auf den Mühlen derjenigen, die sagen, man solle nicht länger der Hisbollah den Grad der Eskalation überlassen, es brauche eine schnelle und entschlossene Lösung im Norden.
Warum spitzt sich die Situation immer weiter zu, obwohl beide Seiten den Konflikt nicht eskalieren lassen wollen?
Der Schlagabtausch wird häufig als «Tit for Tat» bezeichnet. Es gab immer wieder Schusswechsel, Raketenangriffe und Vergeltungsangriffe über die Grenze. Seit Jahren warnen Analystinnen, es brauche nur einen einzigen Angriff auf einen Kindergarten oder ein Einkaufszentrum. Dieser Punkt wurde nun erreicht. Wenn man Hunderte Raketen schiesst, geht das irgendwann schief.
In Libanon wird die Notwendigkeit eines Krieges viel weniger gesehen.
De facto haben beide Parteien kein Interesse an einem Krieg. Aber in Israel gibt es eine viel stärker wahrgenommene Notwendigkeit, dass er geführt werden muss, auch wenn man ihn nicht will. In Libanon wird die Notwendigkeit viel weniger gesehen, die Hisbollah profitiert stark von ihrer aktuellen Position. Sie möchte weiter über eine Art «Low Level Kriegsführung» ihr Prestige ausbauen, ohne eine Bodeninvasion zu riskieren. In den Worten eines israelischen Kollegen: Israel will den Krieg, hat aber die Mittel eigentlich nicht, die Hisbollah will den Krieg nicht, hat aber die Mittel.