16. November 1985, Flughafen Genf, 22.30 Uhr: Die Air-Force-One-Maschine mit Präsident Ronald Reagan ist soeben gelandet. Noch auf dem Rollfeld heisst Kurt Furgler die Delegation aus den USA auf Englisch willkommen.
«Wir sind geehrt, dass unser Land für Ihr Treffen mit Generalsekretär Gorbatschow ausgewählt wurde», sagt der Bundespräsident. Er spielt seine Rolle als Gastgeber perfekt. Er habe jedes Wort, jede Betonung einstudiert – mit dem Ziel, alles möglichst natürlich wirken zu lassen, sagt Raymond Loretan: «Eine unglaubliche Spontaneität, die bis ins Detail vorbereitet war.»
Furgler nutzt die grosse Bühne. Als Gorbatschow in Genf landet, begrüsst er auch ihn in dessen Muttersprache. Er wünscht dem sowjetischen Präsidenten Erfolg – im Namen des Friedens und zum besseren Verständnis zwischen den Völkern. Einstudiert hat er seine Willkommensworte mit Heidi Tagliavini.
Hoffnungsträger Gorbatschow
Die spätere Spitzendiplomatin nimmt als Übersetzerin am Gipfel teil. Sie erinnert sich noch gut an die erste Begegnung der Schweizer Delegation mit Gorbatschow, der damals erst seit wenigen Monaten Generalsekretär der Kommunistischen Partei ist. «Der Eindruck war, dass da ein neuer Tonfall angesetzt wurde, dass plötzlich ein neues Gesicht – jemand der lächelte, der eine neue Sprache verwendete – an die Macht gekommen war. Man hat Gorbatschow wirklich als Hoffnungsträger empfunden.»
Die Tatsache, dass die Rahmenbedingungen optimal waren, hat sehr viel dazu beigetragen, dass man zu guten Resultaten kommen konnte.
Trotz dieser Hoffnung: Der Genfer Gipfel ist geprägt von Misstrauen. Die Russen sind erbost wegen des neuen Raketenabwehrsystems der USA. Und Reagan, der Russland auch schon als «Reich des Bösen» betitelt hat, kritisiert den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan und die Menschenrechtslage. Dass der Gipfel ein Erfolg würde, ist zu diesem Zeitpunkt alles andere als klar.
Dann aber treffen Reagan, 74, und der 20 Jahre jüngere Gorbatschow in der Villa Fleur d'Eau zum ersten Mal persönlich aufeinander – und sie verstehen sich auf Anhieb gut. «Das hat vielleicht den entscheidenden Durchbruch gebracht», sagt Tagliavini. Das Treffen bringt zum Schluss zwar kaum handfeste Ergebnisse, aber es leitet eine Zeit der Entspannung ein.
Gipfel läutet Ende des Kalten Krieges ein
Der Gipfel von Genf von 1985 gilt heute als Anfang vom Ende des Kalten Krieges. Und er zählt zu den Sternstunden der Schweizer Diplomatie der guten Dienste.
«Die Tatsache, dass die Rahmenbedingungen optimal waren, atmosphärisch und logistisch, hat sehr viel dazu beigetragen, dass man zu guten Resultaten kommen konnte», sagt Loretan, damals diplomatischer Assistent.
Tagliavini pflichtet dem bei: «Im Theater haben Sie hunderte von Leuten im Hintergrund, die Kulissenschieber, die Beleuchter. Das muss spielen.» Wenn zum Beispiel das Licht ausgehe, dann platze das Stück – oder eben der Gipfel. «Dann sind die Leute unzufrieden. Es darf nichts schiefgehen, jedenfalls nichts, was nicht gleich wieder unter Kontrolle gebracht werden kann.»
Es darf nichts schiefgehen, jedenfalls nichts, was nicht gleich wieder unter Kontrolle gebracht werden kann.
1985 verläuft denn auch alles wie geplant. Was bemerkenswert ist, bei einem Gipfel, der vier Tage dauert und mit festlichen Abendessen, Damenprogramm und Spaziergängen am See reich befrachtet ist. Wenn sich dagegen US-Präsident Joe Biden und der russische Präsident Wladimir Putin am Mittwoch in Genf treffen, werden sie nur wenige Stunden haben, um das Eis zu brechen.
Zeit für ausgedehnte Kaminfeuergespräche liegt da nicht mehr drin.