Das Verhüllungsverbot in der Schweiz wird auch im Nahen Osten registriert. Doch die Reaktionen seien bei weitem nicht vergleichbar mit der Empörung, welche das französische Burkaverbot in Nahost ausgelöst hatte, sagt SRF-Korrespondentin Susanne Brunner.
SRF News: Wie kommt die schweizweite Einführung eines Verhüllungsverbots im Nahen Osten an?
Susanne Brunner: In den staatlichen Medien Jordaniens ist davon noch nichts zu erfahren. Ein Thema ist es jedoch in den sozialen Medien. Die Reaktionen sind ähnlich wie in der Schweiz. So wird etwa die Frage gestellt, wie Kleidervorschriften für Frauen mit der Demokratie vereinbar seien.
Von der Schweiz hätte man das nicht erwartet.
Kritisiert wird auch, dass mit der Schweiz jetzt ein weiteres europäisches Land islamfeindlich sei – von der Schweiz hätte man das nicht erwartet.
Gibt es Reaktionen aus anderen Ländern des Nahen Ostens?
Der Fernsehsender Al Dschasira hatte einen Beitrag im Programm, der aber recht ausgewogen war. So werden die Argumente von Befürworterinnen und Gegnern erwähnt, auch dass das Resultat knapp war und dass die Initiative nicht die Verhüllung der muslimischen Frauen im Verfassungstext hatte. Es wird darin aber auch gesagt, dass die Schweiz ein angespanntes Verhältnis zu Musliminnen und Muslimen habe – so sei etwa auch der Bau von Minaretten verboten. Betont werden im TV-Beitrag auch die Reaktionen von muslimischen Organisationen in der Schweiz.
Gibt es auch Stimmen, die das Verhüllungsverbot nachvollziehen können?
Ich habe in letzter Zeit mit vielen Frauen in Jordanien über ihre Rechte gesprochen. Vor allem ältere Aktivistinnen, die früher kein Kopftuch trugen, können verstehen, dass das Tragen des Nikab – das in einigen Regionen verbreitet ist – Unbehagen auslösen kann und eine Provokation ist.
Die Frauen wollen sich nicht vorschreiben lassen, was sie anzuziehen haben.
Die Frauen weisen auch darauf hin, wie kompliziert die Geschichte mit der Verschleierung in der betreffenden Gegend sei. Viele Frauen wollen hier kein Verbot, weil sie sich nicht vorschreiben lassen wollen, was sie anzuziehen haben. Andere sagen aber auch: Die Schweiz ist eine Demokratie – wenn sie ein Verhüllungsverbot will, dann hat man sich daranzuhalten.
Die Schweiz ist nicht das erste Land, welches ein Verhüllungsverbot einführt. Wieso sorgt das trotzdem noch für Aufsehen?
Gerade deswegen: Für die Musliminnen und Muslime ist es ein weiteres Zeichen, dass man sie in Europa nicht mag. Das nehmen viele persönlich – und es gibt den Forderungen mancher radikaler Muslime Auftrieb, sich noch stärker abzugrenzen.
Schadet das Verhüllungsverbot der Schweiz?
Das wohl nicht. Die Schweiz gilt hier durchs Band weg als nahezu perfektes und ideales Land. Die meisten wissen, dass die Schweiz eine Demokratie ist. Ausserdem ist der Ganzkörperschleier hier kaum stärker verbreitet als in der Schweiz. Den Nikab sieht man bloss in sehr ländlichen, konservativen Gebieten.
Die Schweiz nimmt man hier etwas weniger ernst als Frankreich.
Die Reaktionen, als Frankreich ein Burka-Verbot erliess, waren viel gehässiger als jetzt bei der Schweiz. Damals gab es einen riesigen Aufruhr. Das hat damit zu tun, dass Frankreich in der Region eine Kolonialmacht war und hier in diverse Kriege involviert war. Die Schweiz dagegen nimmt man hier etwas weniger ernst.
Das Gespräch führte Sandro Della Torre