Bei Protesten in verschiedenen Städten in Grossbritannien ist es wieder zu Ausschreitungen gekommen – etwa in Manchester, Leeds oder Belfast. Rechtsextreme Protestierende riefen rassistische und islamfeindliche Parolen. Hintergrund ist ein Messerangriff in der Stadt Southport Anfang Woche, bei dem drei Mädchen getötet wurden. Ein Gerücht in den sozialen Medien besagt, dass es sich beim Angreifer um einen muslimischen Asylbewerber handelt. Die Behörden dementieren das, aber rechtsextreme Kreise werfen der Polizei vor, zu lügen, und gehen auf die Strasse. Peter Stäuber berichtet als Journalist aus London.
SRF News: Die Proteste haben in der Stadt Southport angefangen. Jetzt gehen die Leute in vielen anderen Städten auf die Strasse. Woher kommt diese Dynamik?
Peter Stäuber: Das liegt vor allem daran, dass die rechten Aktivisten die Messerattacke instrumentalisiert haben, um landesweit zu Demonstrationen aufzurufen, um gegen Migranten zu hetzen, gegen Multikulturalismus, vor allem gegen Muslime. Die extreme Rechte in Grossbritannien ist nicht besonders straff organisiert. Es ist eher ein loses Netzwerk von Aktivisten, die in diesem Fall über soziale Medien im ganzen Land zu Protesten aufgerufen haben.
Es sind überwältigend oft Männer, viele mit offen rechtsextremer Haltung.
Es gibt auch Vermutungen, dass russische Akteure im Hintergrund die Desinformation zur Messerattacke weiterverbreitet haben. Allerdings gibt es dafür keine handfesten Beweise.
Wer genau geht denn da auf die Strasse?
Es gibt sicher Leute, die aus ehrlicher Trauer und Erschütterung über die Messerattacke von Southport auf die Strasse gegangen sind. Das war in diesem Fall aber nur ein ganz kleiner Teil der Protestierenden. Es sind überwältigend oft Männer, viele mit offen rechtsextremer Haltung, die mit dem Ziel aufmarschiert sind, zu randalieren, sich mit der Polizei zu prügeln und Gegendemonstrierende anzugreifen. Man sieht es auch an den Slogans, die sie auf der Strasse brüllen. Sie richten sich gegen den Islam, gegen Migranten, gegen Bootsflüchtlinge. «Schmeisst sie raus!», solche Dinge hört man.
Es wird schwieriger, die eigentliche Wurzel des Problems anzugehen.
Wie gross ist denn das Problem mit Rechtsextremismus in Grossbritannien?
Es ist grösser geworden in den vergangenen Jahren. Die Antirassismuskampagne «Hope not Hate» hat in ihrem jüngsten Jahresbericht festgehalten, dass sich die extreme Rechte zunehmend etabliert hat. Das liegt laut den Autoren auch an einem rechtsradikalen Ökosystem, das sehr einflussreich geworden sei. Dazu zählen führende Politiker in der konservativen Partei. Auch viele Medien wie der Fernsehsender «GB News» oder etablierte Pressetitel haben migrationsfeindliche Haltungen verbreitet. Das hat rechtsextreme Haltungen legitimiert.
Was heisst denn das für die neue Regierung?
Es ist die erste grosse, unvorhergesehene Krise für Premierminister Keir Starmer. Er hat bereits angekündigt, dass die Justiz hart durchgreifen werde. Eine Möglichkeit wäre auch, dass die Gerichte einen 24-Stunden-Betrieb aufnehmen, um die Angeklagten schnell zu verurteilen. Schwieriger wird es allerdings, die eigentliche Wurzel des Problems anzugehen, also die Verbreitung rechtsextremer Haltungen in der Gesellschaft und die Gewaltbereitschaft mancher Leute. Es ist auch begünstigt durch die schwere soziale Krise, mit der weite Teile der britischen Bevölkerung kämpfen: steigende Lebenshaltungskosten, marode soziale Dienstleistungen. Diese Probleme zu lösen, wird deutlich länger dauern.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.