In Teilen Europas erstarken rechtspopulistische und rechtsnationalistische Parteien. Derweil erodiert die Macht der gemässigt konservativen Parteien. Der deutsche Politologe Thomas Biebricher erklärt die Gründe dieser Entwicklung.
SRF News: Weshalb sind die Erosion der konservativen Volksparteien und das Erstarken der Parteien am rechten Rand eine gefährliche Entwicklung für die Demokratie?
Thomas Biebricher: Das ist kein Problem, mit dem sich nur Konservative zu beschäftigen haben, denen es nicht gut geht. Ich denke, dass Konservative in Krisenzeiten in besonderem Masse in der Lage sind, für Akzeptanz für solche Veränderungsprozesse zu sorgen. Auch, weil sie über eine gewisse Glaubwürdigkeit in manchen Milieus verfügen, die für linksgrüne Kräfte nicht mehr erreichbar sind. Aber auch, weil sie selbst ein ambivalentes Verhältnis zum Wandel haben und deswegen meiner Ansicht nach gut geeignet sind, solche Prozesse zu moderieren.
Konservative Parteien stehen ja eigentlich nicht für Veränderungen, sondern sind eher Bewahrer.
Das ist richtig. Aber Konservative lehnen Veränderungen nicht kategorisch ab, sondern sind schon bereit, sich auch darauf einzulassen. Sie haben jedoch eine bestimmte Vorstellung davon, wie sich ein Wandel vollziehen soll. Nämlich immer schrittweise, langsam, keineswegs revolutionär und disruptiv. Und er soll eben immer auf das, was besteht, aufbauen.
Einige konservative Parteien haben massiv an Profil eingebüsst.
Weshalb stecken die gemässigt konservativen Parteien in einer Krise?
Das ist eine Frage, die sich in der Allgemeinheit nicht beantworten lässt. Ich habe mich mit verschiedenen Ländern und der rechten Mitte auseinandergesetzt. In manchen Fällen gibt es Skandale, denken Sie an die ÖVP in Österreich nach Sebastian Kurz. In anderen Fällen haben die konservativen Parteien massiv an Profil eingebüsst, sodass unklar ist, wofür sie noch stehen. Das fällt besonders ins Auge, wenn es klarer wirkende Alternativen in der politischen Mitte oder am rechten Rand gibt.
Nicht selten kopieren die traditionellen Mitte-Rechts-Parteien die Slogans der Rechtspopulisten. Kann diese Strategie aufgehen?
Mir ist kein Fall bekannt, bei dem das mittelfristig zum Erfolg geführt hätte. Kurzfristig kann man damit punkten. Aber einer solchen Rhetorik muss man Taten folgen lassen – und das bedeutet eine Selbstradikalisierung dieser Parteien. Denken wir etwa an die US-Republikaner oder an die britischen Tories. Die andere Seite des Problems besteht darin, dass man praktisch ununterscheidbar wird von den Rechtsaussenparteien. Und dass man empörungsträchtige Themen bewirtschaftet, von denen ich glaube, dass sie der grossen Masse nicht unter den Nägeln brennen.
Wie sollten die traditionellen Mitte-Rechts-Parteien reagieren, um den Bedeutungsverlust umzukehren?
Ich glaube nicht, dass es dafür zu spät ist. Es empfiehlt sich meiner Ansicht nach, sich nur vorsichtig auf potenziell kulturkämpferische Themen einzulassen. Ich glaube, es gibt wichtigere politische Themen, mit denen man letztendlich auch nachhaltiger punkten kann.
Es empfiehlt sich meiner Ansicht nach, sich nur sehr vorsichtig auf diese potenziell kulturkämpferischen Themen einzulassen.
Der Vorteil der gemässigt konservativen Parteien ist, dass sie immer noch von ihrem seriösen Ruf zehren. Ich sage das ausdrücklich so, weil der Ruf in vielen Fällen schon schwer ramponiert ist. Dies könnte man in eine Stärke verwandeln, indem man sagt: Wir leben in schwierigen Zeiten mit existenziellen Herausforderungen und wir machen altmodisch Politik für eine gesellschaftliche Mitte, aber mit Lösungswegen für klassische sozioökonomische Probleme – beispielsweise Bildungsfragen oder bezahlbares Wohnen. Das ist weniger empörungsträchtig, aber wohl mittelfristig zielführend.
Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.