Nach 18 Monaten Corona-Pandemie ist die Einschätzung möglich, dass die EU besser sein kann als ihr Ruf. Bis am Mittwoch sind 70.8 Prozent der Erwachsenen in der EU zweimal geimpft, knapp 60 Prozent der gesamten Bevölkerung.
Es hätte genügend Impfstoff für eine dritte Impfung. Die EU hat gleichzeitig 50 Prozent der in Europa hergestellten Impfstoffe in die ganze Welt exportiert. Es ist legitim, wenn die Präsidentin der EU-Kommission zuerst einmal ein Selbstlob ausspricht. Die EU sei ihren eigenen Weg gegangen, habe auf die Wissenschaft gesetzt und das sei letztlich erfolgreich gewesen, so von der Leyen.
Nachvollziehbare Auslassungen
Allerdings darf die Analyse nicht zu sehr ins Detail gehen. Ansonsten wird es unangenehm. Das Problem ist die Ungleichheit: Nur ein Drittel der Bevölkerung von Rumänien ist geimpft, nicht einmal ein Viertel in Bulgarien. Das fand keine Erwähnung vor dem EU-Parlament. Nachvollziehbar.
Auf dem Weg zur Genesung – um im Bild zu bleiben – ist die EU auch in Bezug auf die Klimapolitik. Die 27 EU-Staaten einigten sich auf strengere Auflagen, mehr Klimaschutz, der in kürzerer Frist erreicht werden muss. Die EU ist der erste grosse Wirtschaftsraum der Welt, der sich so strenge Auflagen selbst auferlegt. Exemplarisch sei das, so von der Leyen.
Das Ziel ist klar: Wer die Umwelt verschmutzt, muss künftig zahlen. So einfach sei das. Ihre Partei, die Christdemokraten, nickten zustimmend im Saal. Auch die Sozialdemokraten. Sie stellen ja den EU-Klima-Kommissar.
Ruf nach Einheit und Eigenständigkeit
Die Diagnose stimme, die Kommunikation auch, hielt der belgische Grüne Phillippe Lamberts entgegen. Da zeige sich aber auch, woran die aktuelle EU-Kommission immer noch kranke. Es fehle das Tempo bei der Umsetzung. Die Fraktion der Liberalen kommt zum gleichen Schluss.
Die EU-Kommission agiere zu zögerlich, weil sie sich zu sehr von bremsenden Mitgliedsländern einspannen lasse, so Fraktionschef Dacian Ciolos aus Rumänien. Würde sich die EU-Kommission mehr auf die progressiven Kräfte im Parlament stützen, käme Europa politisch schneller voran.
Dieser Vorwurf war aus dem Parlament mehrfach zu hören: In politisch heiklen Dossiers nehme die EU-Kommission ihre Aufgabe nicht wahr. Die jüngste Krise in Afghanistan habe das deutlich gezeigt. Die EU-Staaten müssten endlich mehr zusammenarbeiten.
Grossbaustelle Verteidigungs-Union
Jedes Land für sich genommen, auch das Grösste, bleibe ein Zwerg gegenüber den Grossmächten, so der Grüne Lamberts. Von der Leyen versprach Besserung: Europa könne und müsse eigenständiger werden. Im nächsten Jahr werde sie darum einen EU-Gipfel zu Verteidigungsfragen einberufen, zusammen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron.
Einen Schritt in Richtung einer Verteidigungs-Union gelte es nun zu machen, so von der Leyen: «Was uns bisher zurückgehalten hat, war der politische Wille.» Auffallend: Das Parlament applaudierte nur mit einiger Verzögerung. Als zweifle es daran, dass der Wille nun plötzlich stärker sei auf mehr Europa in den EU-Staaten.