Die Umstände könnten kaum widriger sein: Renaissance des Nationalismus in vielen Ländern. Abbau an Demokratie, an Freiheiten. Spannungen zwischen grossen Mächten. Und ausgerechnet jetzt ist in der UNO-Leitnation USA eine zutiefst UNO-skeptische bis UNO-feindliche Regierung an der Macht. Bloss: Das hilft alles nichts.
Man müsse auch damit umgehen lernen, fordert Ex-Aussenminister und Ex-Präsident der UNO-Generalversammlung Joseph Deiss: «Ich bin nicht total demoralisiert.» Ja, er findet gar, es hätte schlimmer kommen können: «Ich bin überrascht, wie sehr die Amerikaner doch mitmachen.» Die Brücken zur Trump-Regierung sind also nicht ganz abgebrochen.
Deiss weiss, dass das Ziel, die UNO zu reformieren, nicht gerade neu ist. Bloss erreicht wurde im Grundsätzlichen wenig. Selbst wenn die UNO im Konkreten durchaus Erfolge verbuchen kann: Dank der UNO-Millenniumsziele etwa bei der Armutsbekämpfung, beim Kampf gegen Aids oder im Gesundheitswesen, mit der fast weltweit markanten Erhöhung der Lebenserwartung. Und nicht zuletzt mit dem Pariser Klimaabkommen.
Vielleicht wollen wir zu viel auf einmal.
Deiss widerspricht daher all jenen, welche die UNO in einer Sackgasse sehen. Hingegen hält er es nicht für sinnvoll, ständig dieselben Reformprojekte weiterzuwälzen, wo man keinen Millimeter vorankommt. Etwa bei der Reform des Sicherheitsrates. Er hält einen Verzicht der Grossmächte auf ihr Vetorecht für völlig chancenlos.
Er plädiert deshalb für neue Ansätze. Mehr Effizienz, mehr Konzentration der Kräfte. Die UNO sollte verstärkt Prioritäten setzen bei einigen wenigen Themen. Sie müsse unbedingt näherrücken zu den Bürgern, sichtbarer und nahbarer werden, verständlicher kommunizieren, sich lösen von der üblichen formalistischen Diplomatensprache: «Die UNO muss viel mehr auf den Boden kommen.»
Das erfordere auch, die Zivilgesellschaft, die NGOs, die Unternehmen weitaus stärker einzubinden. Die UNO könne es sich nicht länger leisten, deren Sachverstand, deren Mobilisierungskraft, deren Glaubwürdigkeit kaum oder zu wenig zu nutzen.
Schweiz weiss nicht alles besser
Und gerade in einem Land wie der Schweiz müsse man sich vom Gedanken verabschieden, man wisse alles besser. Zu glauben, wenn die UNO bloss so funktionieren würde wie die Eidgenossenschaft, käme alles gut. Zumal das Schweizer Engagement in der UNO auch krasse Mängel aufweist, wie Deiss findet.
Als Beispiel nennt er den UNO-Migrationspakt: «Die Schweiz, die seit Jahren an dieser Charta mitgearbeitet hat und plötzlich sagt: Ich mag nicht mehr. Und geht nicht mal hin! Das ist ein enormer Reputationsverlust.» Problematisch sei ausserdem, dass der Bundesrat das UNO-Abkommen über ein weltweites Atomwaffenverbot nicht unterzeichnen mochte, obschon die Schweiz die Hüterin der Genfer Konventionen über das Kriegsvölkerrecht ist.
Die UNO-Reform ist kein Kampf gegen Windmühlen. Aber ein Kampf, der viel mehr Zeit braucht.
Wenn Deiss über die UNO-Reform spricht, dann wirkt er optimistisch. Trotz allem. Aber zugleich realistisch. Denn von raschen Fortschritten und Lösungen geht er nicht aus: «Ich würde nicht sagen, dass es ein Kampf gegen Windmühlen ist. Aber es ist ein Kampf, der viel mehr Zeit braucht, als man gemeinhin dachte.»
Er denkt an Jahre, an Jahrzehnte, womöglich gar an Jahrhunderte. Und nennt als Beispiel den Schweizer Bundesstaat. Der leide selbst weit mehr als 150 Jahre nach seiner Gründung noch immer an Kinderkrankheiten. Wie ungleich schwieriger sei es da, die UNO erwachsen werden zu lassen.