- Der israelische Inlandsgeheimdienst Schin Bet hat vor möglichen Unruhen rund um die Amtsfrage von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gewarnt.
- Die Behörde habe zunehmend extrem hitzige Beiträge, vor allem auf sozialen Netzwerken, registriert, sagte Schin-Bet-Chef Nadav Argaman. Diese könnten in Gewalt umschlagen.
- Oppositionsführer Jair Lapid hatte vor Ablauf einer Frist Präsident Reuven Rivlin darüber informiert, dass er eine neue Regierung bilden könne. Sollte diese vereidigt werden, würde Netanjahu sein Amt verlieren.
In einer ungewöhnlichen Stellungnahme hat Israels Inlandsgeheimdienst Schin Bet davor gewarnt, politische Hetze im Land könne zu Blutvergiessen führen. Israelische Medien bezeichneten den öffentlichen Aufruf des Chefs von Schin Bet als selten und ungewöhnlich. Normalerweise würde er Politikerinnen und Politiker informieren und ihnen überlassen, ob sie sich öffentlich äussern.
In letzter Zeit identifizieren wir eine Verstärkung und schlimme Radikalisierung aggressiver und hetzerischer Debatten, vor allem in sozialen Netzwerken.
Der 60-jährige Geheimdienstchef äussert sich also höchst selten öffentlich und sagte: «In letzter Zeit identifizieren wir eine Verstärkung und schlimme Radikalisierung aggressiver und hetzerischer Debatten, vor allem in sozialen Netzwerken.» Diese enthielten auch Aufrufe zur Gewalt, so Nadav Argaman weiter.
Bestimmte Gruppierungen oder Individuen könnten dies als Legitimierung gewaltsamer Übergriffe oder sogar Blutvergiessen auslegen, warnte Argaman. Er appellierte an alle Verantwortlichen, sich sofort für eine Beruhigung der Lage einzusetzen.
Regierungschef bereits unter Schutz
Schin Bet schützt den designierten Regierungschef Naftali Bennett von der ultrarechten Jamina-Partei. Hintergrund ist eine Zunahme an Hetze gegen den 49-jährigen Politiker in sozialen Netzwerken und auf Demonstrationen.
Der scheidende Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte Bennett scharf angegriffen und ihm mit dem Eintritt in die neue Koalition den «Betrug des Jahrhunderts» vorgeworfen. Anhänger Netanjahus üben nach Medienberichten massiven Druck aus, um die Vereidigung der geplanten Regierung von acht Parteien aus allen politischen Lagern zu verhindern. Demonstranten beschimpften Bennett auf Kundgebungen als «Verräter» und verbrannten sein Porträt.
Erinnerungen an den Mord von Izchak Rabin 1995
Die israelische Nachrichtenseite «ynet» schrieb, die gegenwärtige Hetze erinnere stark an jene vor dem Mord an dem Regierungschef Jitzchak Rabin durch einen rechtsextremen jüdischen Fanatiker im November 1995.
Der damalige Oppositionsführer Netanjahu war zu der Zeit Wortführer bei wütenden Demonstrationen, auf denen Gegner von Rabins Versöhnungspolitik einen Sarg mit seinem Namen trugen und Schilder hochhielten, auf denen Rabin in einer SS-Uniform dargestellt wurde.
Netanjahu zunehmend unter Druck
Netanjahu wurde immer häufiger vorgeworfen, er habe mit seinem Verhalten mit dazu beigetragen, die Stimmung zu schüren, die letztlich den Mord an Rabin ermöglichte – und ihn dann als Regierungschef beerbt.
Auch sein Sohn Jair sprach nach Argamans Mitteilung von einer «Schande». Er warf der israelischen Linken vor, seit zwei Jahren gegen seinen Vater und seine Familie zu hetzen. «Und jetzt versuchen sie, der Rechten das Maul zu stopfen und jede politische Kritik als Hetze zu verunglimpfen», schrieb er bei Twitter.
Netanjahu regiert seit 2009 und ist der am längsten amtierende Ministerpräsident Israels. Der 71-Jährige steht wegen Korruptionsvorwürfen unter Druck. Er weist die Vorwürfe zurück und bezeichnet sich als Opfer einer Hexenjagd.