In Afghanistan haben der amtierende Präsident Aschraf Ghani und sein Rivale Abdullah Abdullah ihren Streit zumindest auf dem Papier beigelegt. Sie unterzeichneten acht Monate nach der Präsidentenwahl eine politische Vereinbarung, welche die Machtteilung festlegt. Ob das Abkommen halten wird, was es verspricht? SRF-Südasien-Korrespondent Thomas Gutersohn ist skeptisch.
SRF News: Wieso trauen Sie dem Abkommen zwischen Ghani und Abdullah nicht?
Thomas Gutersohn: Hier wird eine Einigkeit zweier Parteien vorgegaukelt, die sich noch nie einig waren. Die Clans von Abdullah Abdullah und Aschraf Ghani sind sich nicht erst seit der Präsidentenwahl von 2019 spinnefeind – sie waren es schon vorher. Trotzdem hatten sie in den vergangenen fünf Jahren eine sogenannte Einheitsregierung gebildet.
Ich glaube nicht, dass die beiden Streithähne ihren Streit wirklich beigelegt haben.
Schon 2014 war unklar, wer die Präsidentenwahl gewonnen hatte. In der Folge kam es zu einem politischen Deal – wie jetzt wieder. Ghani wurde damals Präsident Afghanistans, Abdullah CEO des Landes. Diese Position ist weltweit einzigartig und wurde extra für ihn geschaffen. Doch das Regieren gestaltete sich sehr schwierig, die beiden konnten sich auch in unwichtigen Punkten nicht einigen. Ich glaube nicht, dass sich daran inzwischen etwas geändert hat und die beiden Streithähne ihren Streit wirklich beigelegt haben.
Was sieht die aktuelle Einigung zwischen Ghani und Abdullah vor?
Gemäss dem Papier bleibt Ghani Präsident des Landes, während Abdullah nicht mehr CEO sein soll – dieser Posten wurde offenbar wieder abgeschafft. Er soll vielmehr den sogenannten Rat der Versöhnung präsidieren. Dieses Gremium soll die Friedensverhandlungen mit den Taliban führen. Ausserdem soll die Regierungsmacht je zur Hälfte zwischen dem Ghani- und dem Abdullah-Lager aufgeteilt werden.
Gibt es noch offene Punkte, bei denen keine Einigkeit herrscht?
Es ist völlig unklar, wer welche Ministerien erhält. Das war bereits während der letzten Regierungszeit der grösste Streitpunkt. Zudem ist unklar, welche Kompetenzen der «Rat der Versöhnung» erhalten soll.
Jeder will sich ein Stück des Kuchens abschneiden.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ghani bei den Friedensverhandlungen mit den Taliban seinem grössten Konkurrenten das Feld einfach überlassen wird. Bei den Gesprächen geht es um eine Aufteilung des Landes, da will jeder mit am Tisch sitzen und sich ein Stück des Kuchens abschneiden können.
Das tönt nach dem Status quo: Geht es weiter wie bisher – und die Wahlen vor acht Monaten waren im Grunde genommen für die Katz?
Ja, das scheint so. Bislang warf Abdullah Ghani stets Wahlbetrug vor. Jetzt, da er seinen Posten bekommen hat, soll den möglichen Unregelmässigkeiten nicht mehr nachgegangen werden. Ghani seinerseits sagte stets, er sei der klare Gewinner der Wahl, es gebe keinen Deal mehr mit Abdullah. Nun gibt er dem angeblichen Verlierer der Wahl doch die Hälfte der Ministerien. Das ist alles sehr merkwürdig.
Ohne legitime Regierung werden die Taliban als die starke Macht im Land wahrgenommen.
Mit dem neuerlichen Deal werden die Wahlzettel vom August 2019 ignoriert. Damit wird die Legitimität der afghanischen Regierung infrage gestellt. Dabei wäre es äusserst wichtig, dass eine Regierung mit den Taliban verhandeln würde, die eine starke Legitimität im Volk geniesst. Andernfalls werden die Taliban als die eigentlich herrschende Macht in Afghanistan wahrgenommen.
Das Gespräch führte Roger Aebli.