Die italienische Regierung droht gestürzt zu werden. Was für ein anderes Land eine Ausnahmesituation wäre, ist für Italien schon fast der Normalfall. Hier hält eine Regierung nur selten länger als ein, zwei Jahre durch. Das liege an der Verfassung, sagt SRF-Korrespondent Franco Battel. Und am Misstrauen der Bürgerinnen und Bürger gegenüber Staat und Politik.
SRF News: Warum hält eine Regierungskoalition in Italien kaum je über eine volle Legislatur von vier Jahren?
Franco Battel: Das hat viel mit der italienischen Verfassung zu tun. Diese wurde nach dem Ende des Faschismus geschrieben. Ziel der Verfassungsväter und -mütter war, zu verhindern, dass es in Italien jemals wieder zu einem faschistischen Regime oder einer Diktatur kommen kann. Es sollte verhindert werden, dass jemals wieder ein starker Mann alle Macht an sich reissen kann.
Die Verfassung soll verhindern, dass jemals wieder ein starker Mann alle Macht an sich reissen kann.
Deshalb verankerten sie in der Verfassung viele Gegengewichte, die das verhindern sollen. So braucht die Regierung etwa das Vertrauen sowohl der grossen wie der kleinen Parlamentskammer – das ist in der Welt einzigartig. Doch genau diese Regelung führt zu grosser Instabilität der italienischen Regierungen, denn die Mehrheiten in den beiden Kammern sind oftmals sehr unterschiedlich.
Ist man mit dieser Verfassungsvorschrift übers Ziel hinausgeschossen?
Das kann man wohl so sagen. Es gab auch schon Bestrebungen, dies zu ändern. So wollte Ex-Premier Matteo Renzi den Senat weitgehend entmachten, die Regierung hätte demnach nur noch von der grossen Parlamentskammer bestätigt werden müssen.
Die Italienerinnen und Italiener stehen hinter den instabilen Verhältnissen.
Doch Renzi verlor die Volksabstimmung vor gut vier Jahren – die Italienerinnen und Italiener wollen also nach wie vor, dass beide Kammern einzeln die Regierung bestätigen müssen. Damit sagten sie auch Ja zu den instabilen Verhältnissen, was die Regierung angeht.
Jetzt droht die Kleinpartei Viva Italia die aktuelle Regierung zu stürzen. Ist das typisch?
Ja – denn auch die italienischen Parteien tragen zur Instabilität bei: Sie werden sehr rasch gegründet und lösen sich oft genauso schnell auch wieder auf. Die älteste derzeit noch bestehende Partei Italiens ist die Lega, die in den 1990er-Jahren gegründet wurde. Wenn nun die Parteien instabil sind, sind es auch die Regierungen, denn schliesslich werden letztere durch die Parteien getragen.
In Italien hat sich nie ein fruchtbares Verhältnis zwischen den Bürgern und dem Staat entwickelt.
Wieso ist die Parteienlandschaft in Italien derart instabil?
Das hat wohl mit dem fehlenden Vertrauen vieler Italienerinnen und Italiener in ihren Staat und in die Politik zu tun. Viele schimpfen über den Staat, sie zahlen auch sehr ungern Steuern. In Italien hat sich nie ein fruchtbares Verhältnis zwischen den Bürgern und dem Staat entwickelt. Und damit ist auch das Verhältnis zwischen Bürgern und Parteien problematisch, denn letztere vermitteln ja zwischen dem Einzelnen und dem Staat.
Das System lässt sich derzeit also kaum ändern – muss Italien also mit dieser Instabilität leben?
Ja, das ist so. Allerdings: In Italien sind bloss die Regierungen instabil. Die Parlamente dagegen sind relativ stabil. Es wird relativ selten neu gewählt in Italien. Das führt wiederum zu einer gewissen Stabilität in der Instabilität. Deshalb sind eine italienische Regierung oder der Staat nicht einfach schwach. Es gibt da durchaus Schattierungen und Zwischentöne.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.
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