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Regierungskrise in Libanon «Saudis heizen regionalen Machtkampf an»

Der Rücktritt von Ministerpräsident Hariri sorgt für Nervosität. SRF-Korrespondent Philipp Scholkmann aus Beirut.

SRF News: Was lässt sich heute über den Rücktritt von Libanons Regierungschef Saad Hariri sagen?

Philipp Scholkmann: Gesichert ist wenig. Es gab zuerst Spekulationen, der Schritt sei ein halbes Jahr vor den Parlamentswahlen taktisch motiviert. Hariri wolle sich in der Opposition als sunnitischer Macher neu erfinden.

Aber so, wie das ablief, legt das die Vermutung nahe, dass es um mehr als nur ein innenpolitisches Manöver ging. Hariri hatte ein langes Gespräch mit dem iranischen Emissär und dann machte er mehrfach hektische Besuche in Riad – Saudi-Arabien ist die Schutzmacht der Sunniten im Libanon.

Der Rücktritt ist also vielmehr im Kontext dieses regionalen Kräftemessens zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran zu sehen. Hariri verlas seine Rücktrittserklärung auch in Riad und nicht in der libanesischen Hauptstadt Beirut, wie man das von einem Regierungschef erwarten würde.

Hariri sagte, man wolle ihn töten und suggerierte, die schiitische Hisbollah stecke dahinter. Wie glaubwürdig ist das?

In früheren Phasen fühlte sich Hariri selber stark oder zumindest stärker. Am Anfang des Kriegs im benachbarten Syrien war das so. Da solidarisierten sich Teile des sunnitischen Lagers im Libanon offen mit den Rebellen in Syrien. Hariri erwog sogar, eine eigene sunnitische Miliz im Libanon aufzubauen als Gegengewicht zu dieser schiitischen Hisbollah und deren Waffen. Aber vor einem Jahr ist Hariri tatsächlich in der Position der Schwäche in eine gemeinsame Regierung mit der Hisbollah eingestiegen. Er habe diesen Kompromiss zum Wohle Libanons gemacht, damit dieses wieder funktionierende Institutionen bekomme, sagte er damals. Für die Hisbollah war das ein politischer Erfolg, konnte sie doch den politischen Gegenspieler quasi als Juniorpartner einbinden. Es ist nicht recht ersichtlich, warum die Hisbollah dieses Arrangement plötzlich hätte beenden wollen – mit oder ohne Gewalt.

Was ist vom Vorwurf zu halten, die Hisbollah habe gesteuert vom Iran den Libanon übernommen?

Natürlich bleibt Libanon ein komplexes Völkergemisch. Verschiedenste Parteien und Konfessionen versuchen hier, mit Deals über und unter dem Tisch ein minimales Gleichgewicht zu halten. Aber es ist schon so, dass die Hisbollah seit dem Ende des libanesischen Bürgerkriegs die stärkste Kraft ist und noch stärker seit ihrem erfolgreichen Engagement an der Seite Assads im Syrien-Krieg. Politisch, aber auch militärisch kann sie mit ihrem Waffenarsenal im Libanon ihren Worten fast nach Belieben Nachdruck verleihen. Das ist ein Dauerärgernis für ihre Gegner. Aber das war alles schon so, als sich Hariri vor einem Jahr entschloss, wieder mit der Hisbollah ins Boot zu steigen. Und es erklärt nicht, warum es ausgerechnet jetzt zum Eklat kam.

Steckt der saudische Kronprinz dahinter, der sich immer stärker als entschlossener Macher und sunnitischer Anführer in Position bringt?

Es sieht so aus. Diese neuen schrillen Töne aus Riad gegen Iran und der ganze Kontext des Rücktritts legen sehr nahe, dass Hariri zu Schachfigur des saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salam wurde und dieser den regionalen Machtkampf mit Iran nun auch in der einen oder anderen Form auch in Libanon austragen will. Es heisst, für einen solchen forscheren Kurs gegenüber der Hisbollah habe der Kronprinz auch Rückendeckung aus Washington. Auch Israel hat sicher nichts dagegen, da an dessen Grenze immer stärker iranisch gesteuerte Milizen wie die Hisbollah Präsenz zeigen. Dieser ganze Cocktail macht die Menschen im Libanon schon etwas nervös.

Libanon hat ein Überschwappen des Syrien-Kriegs erfolgreich verhindert. Hat man in Beirut Angst, dass diese Krise zu einem Krieg führen könnte?

Das wäre das Schreckensszenario. Die meisten Beobachter wollen im Moment nicht so weit gehen. Aber man kann Libanon auch anderweitig sehr schaden. Das kleine Land ist wirtschaftlich sehr verletzlich. Es lebt etwa bei der Währungspolitik völlig über seine Verhältnisse. Das Pfund ist seit Jahren fest an den Dollar gebunden. Das ist reine Finanzakrobatik ohne realen Gegenwert. Die regionalen Mächte samt Saudi-Arabien haben das aber immer wieder mit Milliardengarantien gestützt. Wenn das zusammenbrechen würde, wäre Libanon schlagartig in grosser Not. Man kann argumentieren, dass auch die sunnitischen Anführer Libanons vom Geldsegen profitieren und beim saudischen Kronprinzen mit all ihrem Einfluss dafür kämpfen werden, dass es so bleibt. Aber der Kronprinz wirbelt ja gerade sein eigenes Land durcheinander mit unerwarteten Massnahmen. Und wer weiss schon, welche Strafaktionen er für den Libanon im Schilde führt?

Was sagt die in diesem Machtspiel von den Saudis direkt beschuldigte Hisbollah-Miliz?

Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hat wie immer Gelassenheit demonstriert und ist auf die Vorwürfe gar nicht eingegangen. Er stellte die Hisbollah einmal mehr als ruhenden Pol im Land dar, auf den sich alle verlassen könnten. Es zeigt sich einmal mehr das ganze Selbstbewusstsein – oder die Selbstgerechtigkeit, wie die Gegner sagen – dieser Miliz. Einerseits kann die Hisbollah sicher gut leben mit dem Säbelrasseln, sie rechtfertigt ihre Existenz als bewaffnete Organisation ja auch mit den Bedrohungen in der Region. Anderseits sind das doch nicht die gemütlichsten Aussichten, wenn sich all ihre Feinde zusammenfinden würden. Libanon als Land steht plötzlich wieder vor einer Phase der Unsicherheit, nachdem man gerade noch gehofft hatte, es gehe wieder ein wenig aufwärts.

Das Gespräch führte Samuel Wyss.

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