Ich treffe Minh in einem Café in Bangkok. Minh hat den Ort vorgeschlagen, er möchte seine Wohnadresse geheim halten. Minh heisst in Wirklichkeit anders.
Seit rund einem Jahr wohnt er in Bangkok. Davor lebte er in Ho Chi Minh-City im Süden Vietnams, wo er unter anderem Familien von festgenommenen Dissidenten unterstützte.
An einem Morgen – Minh ist gerade auf dem Weg zur Arbeit – wird er in der Nähe seines Hauses von Beamten in Zivil abgefangen. Sie hätten ihn auf die Polizeiwache gebracht, erzählt Minh, und ihn stundenlang verhört.
Die Beamten beschlagnahmen zudem seinen Computer und den Computer seiner Frau. Ausserdem finden sie mehrere militärische Andenken seines Vaters, der im Vietnamkrieg im Süden auf der Seite der USA gekämpft hatte.
Flucht nach Thailand
Die Beamten beschuldigen ihn der «staatsfeindlichen Propaganda». Für den nächsten Tag wird Minh erneut auf die Wache beordert. Er beschliesst zu fliehen. Über das Nachbarland Kambodscha gelangt er nach Thailand.
Doch: Auch hier fühlt er sich nicht sicher. Der lange Arm des vietnamesischen Staats reicht weit über das eigene Staatsgebiet hinaus.
Beim Frühstück beschattet
Das bekam auch der bekannte Demokratie-Aktivist Nguyen Tien Trung zu spüren. Heute lebt er im Exil in Deutschland, von wo er sich per Videocall meldet.
Einer meiner Freunde sah auf dem Handybildschirm des Mannes mehrere Fotos von mir. Ausserdem gab er meinen Namen in die Suchmaschine ein.
Nach seiner Flucht aus Vietnam hielt er sich zuerst ebenfalls in Thailand auf. Als er zusammen mit Freunden auf einem Markt frühstückte, fiel ihm ein Mann auf, der ihn ständig ansah.
«Einer meiner Freunde sah auf dem Handybildschirm des Mannes mehrere Fotos von mir. Ausserdem gab er meinen Namen in die Suchmaschine ein», erzählt Nguyen Tien Trung.
Hilfe aus Deutschland
Nguyen Tien Trung wendet sich an ausländische Botschaften. Die deutsche Botschaft hilft ihm. Zusammen mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern erhält er in Deutschland politisches Asyl.
Für viele kommt Hilfe aus dem Ausland jedoch zu spät. Etwa für jenen regimekritischen vietnamesischen Blogger, der in Thailand auf offener Strasse überwältigt und entführt wurde.
Freunde verweisen auf die Aufnahmen einer Überwachungskamera, darauf sind Schreie zu hören. Der entführte Blogger tauchte später in Vietnam auf, und wurde im letzten Jahr zu 12 Jahren Haft verurteilt.
Politische Unterdrückung hat zugenommen
Trotz der Risiken bleibt Thailand für Menschen wie Nguyen Tien Trung eine erste Anlaufstelle. Das UNO-Flüchtlingshilfswerk hat seinen regionalen Sitz in Bangkok. «Wir haben keine andere Wahl, als zuerst nach Thailand zu kommen, um politisches Asyl zu beantragen.»
Die politische Situation habe sich in den vergangenen Jahren drastisch verschlechtert. Fast all seine Freunde, Aktivisten, sagt Nguyen Tien Trung, sässen entweder im Gefängnis oder lebten im Exil.
Laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sind in Vietnam derzeit mehr als 160 politische Gefangene eingesperrt.
«Bloss nicht auffallen»
Minh ist kein bekannter Aktivist. Und politisch aktiv sei er in Thailand sowieso nicht. Er berät jedoch andere Flüchtlinge beim Ausfüllen von Formularen, wie jene für den Flüchtlingsstatus beim UNHCR. Persönlich treffen will er seine Landsleute aber nicht.
Bis jetzt halte er zu anderen Vietnamesen Distanz und kommuniziere nur über Whatsapp mit ihnen. Man wisse nie, sagt Minh, mit wem man es zu tun habe.