Die Reaktion auf Joe Bidens Aussage hallt nach. «Mein Gott, dieser Mann darf nicht an der Macht bleiben», sagte der US-Präsident in Polen. «Was, was? Hat Biden gerade einen Regimewechsel in Moskau verlangt?», reagierten die Live-Kommentare in den US-Medien auf letzten Satz der 27-minütigen Rede in Warschau.
In den USA kritisierten Expertenkreise Biden heftig. Auf dem Sender «CBS» sagte der Ex-Vizedirektor des CIA, Michael Morell, Biden habe mit diesem «vermeidbaren Fehler» Putins Rückhalt in Russland gestärkt. Die Aussage könne den Krieg in der Ukraine verlängern, befürchtet Richard Haass, Präsident des einflussreichen aussenpolitischen «Council on Foreign Relations»-Thinktanks.
Strategischer und taktischer Faux-Pas
Tatsächlich stiftet Bidens Bemerkung Verwirrung über die strategischen Ziele der USA und ist taktisch schädlich. Der Beginn von Verhandlungen könnte erschwert werden. Ja, es stellt sich die Frage, inwiefern Biden überhaupt zu Diplomatie mit Präsident Wladimir Putin bereit ist.
Das geschieht ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, in dem Verhandlungen wahrscheinlicher werden, weil die russischen Truppen offenbar an ihre Grenzen kommen. Putin ist der Verhandlungspartner für einen Waffenstillstand oder einen Frieden. Insofern erscheint Bidens Bemerkung wenig zielführend.
Wohl ein Ausrutscher
Präsident Biden hat seit Anbeginn seiner Politkarriere den Ruf, mit seinen Improvisationen in Fettnäpfe zu treten. Auch diesmal wich Biden vom Manuskript ab. Das lässt vermuten, dass er in der Hitze des Auftritts spontan sagte, was er denkt, ohne über mögliche Folgen nachzudenken.
Politisch war die Reaktion in den USA gedämpft. Die Republikaner hauen selbst auf die kriegsrhetorische Pauke und die Demokraten nehmen ihren Präsidenten in Schutz. Sie sprechen von einer emotionalen Reaktion nach dem Treffen mit den ukrainischen Flüchtlingen.
Allianzpartner reagieren irritiert
Doch in Europa gab es deutlich hörbare Misstöne. So distanzierte sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron von der scharfen Rhetorik des US-Präsidenten in Polen. Es ist das erste Mal, dass sich eine Differenz zwischen in der westlichen Allianz abzeichnet. Für die US-Regierung ist das ärgerlich.
Sie hat nämlich in einem diplomatischen Grosseinsatz eine westliche Allianz geschmiedet, seit im November die US-Geheimdienste einen Kriegsausbruch für wahrscheinlich eingeschätzt hatten. Nun musste US-Aussenminister Anthony Blinken herbeieilen, um zu versichern, dass ein Regimewechsel weder in Russland noch irgendwo in der Welt ein Ziel der US-Regierung sei. Auch Biden selbst relativierte seine Bemerkung – auf Nachfrage einer Reporterin, ob er einen Regimewechsel gefordert habe – mit: «Nein».