In Russland wird diesen Sonntag auf Stadt- und Regionalebene gewählt. Der Kreml will einen überdeutlichen Sieg, doch mit Kriegsrhetorik kann er nicht punkten. SRF-Russlandkorrespondent Calum MacKenzie erklärt, ob man überhaupt von richtigen Wahlen sprechen kann und weshalb sie trotzdem wichtig sind.
Kann man in Russland überhaupt von fairen Wahlen sprechen?
Nein. Der Kreml hat jegliche echte Opposition erstickt und lässt auch keine unabhängige und kritische Medienberichterstattung zu. Jüngst haben die Behörden auch begonnen, verstärkt gegen Wahlbeobachtungsorganisationen vorzugehen.
Weshalb sind die Wahlen trotzdem wichtig?
Russland hat mehrere Parteien und nur eine, die Regierungspartei «Einiges Russland», gilt als die Partei von Wladimir Putin. Die anderen Parteien haben ihre Anhängerschaft und fangen teilweise Proteststimmen ab. Doch sie gelten als «Systemopposition», weil sie mit dem Kreml eng zusammenarbeiten und dessen Linie mittragen, auch zum Krieg gegen die Ukraine. «Einiges Russland» will sich überdeutlich durchsetzen: Diese Wahlen werden als Testlauf für die Präsidentschaftswahlen 2024 gesehen, bei denen Putin besonders gut abschneiden soll.
Gibt es also einen Wahlkampf?
Seit Jahrzehnten setzt der Kreml verschiedenste Tricks ein, um Wahlresultate nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Nicht überall kann er die Resultate einfach fälschen. Die zugelassenen Parteien sind zwar keine echten Herausforderer der Regierung, aber in einzelnen Regionen haben sie Chancen, gut abzuschneiden – etwa, weil die Kandidierenden von «Einiges Russland» unbeliebte Figuren sind, die von Moskau eingesetzt wurden. Der Kreml versucht seine Wählerschaft also auch auf konventionelle Art zu mobilisieren.
Welche Themen dominieren?
«Einiges Russland» hat im Wahlkampf zuerst auf Kriegsrhetorik gesetzt, aber diese Strategie später fallengelassen. Russinnen und Russen wollen sich eher nicht mit dem Krieg beschäftigen. Zudem hat der Wagner-Aufstand im Juni vielen vor Augen geführt, dass der Krieg auch bei ihnen Chaos und Unsicherheit auslösen kann. Das Thema ist offenbar zu heikel geworden, denn jetzt sprechen Putins Kandidierende vor allem von Themen wie Modernisierung und Investitionen.
Wie gross ist das Interesse der Bevölkerung, wählen zu gehen?
Seit Jahren belegen Studien, dass die meisten Russinnen und Russen sich aus der Politik heraushalten wollen und nicht glauben, irgendwas verändern zu können. Dieses Jahr, in der aktuellen Situation, dürfte die Lust, sich politisch zu äussern noch tiefer sein als sonst. Beobachterinnen und Beobachter rechnen mit einer tiefen Wahlbeteiligung.
Wird auch in den «annektierten» Teilen der Ukraine gewählt?
Ja, wobei hier noch weniger von einer legitimen Wahl gesprochen werden kann und sie Russland gemäss Völkerrecht auch nicht durchführen dürfte. Zu den Kandidierenden zählen viele vom Kreml eingeflogene Figuren, die zuvor mit der Ukraine nichts zu tun hatten. Russland will das Ganze als ordentliche Wahl darstellen, aber sie geschieht unter militärischer Besatzung. Russland kontrolliert diese Gebiete nicht vollständig, zudem sind diese in grossen Teilen entvölkert, weil Hunderttausende Menschen geflohen sind. In den besetzten Gebieten herrscht ein Klima der Angst, weil die russischen Truppen mit aller Härte gegen proukrainische Bewohnerinnen und Bewohner vorgehen.