«Demission, Demission!» (dt. «Rücktritt») schallte es durch die französische Nationalversammlung – doch die empörten Rufe der radikalen Linken verhallten: Die Regierung von Emmanuel Macron überstand zwei Misstrauensvoten.
Doch es brodelt weiter in Frankreich. Rechtspopulistin Marine Le Pen verlangt, dass Premierministerin Élisabeth Borne abdankt oder von Präsident Macron abgesetzt wird. Die Sozialisten erklären die Rentenreform für gescheitert – es fehle die Unterstützung im Parlament, ebenso wie auf der Strasse.
Blitzableiterin Borne
Nach dem Scheitern der Misstrauensvoten ist die Reform zwar offiziell beschlossene Sache. Zurücklehnen kann sich die Regierung allerdings nicht, schätzt SRF-Korrespondent Daniel Voll. «Das Amt der Premierministerin ist in Frankreich ein Schleudersitz. Es dient auch als Blitzableiter für den Präsidenten.»
Schon in der Nacht auf Dienstag formierte sich erneut der Protest und brach sich teilweise gewaltsam Bahn. Die Stimmung ist auf dem Siedepunkt.
In den letzten Tagen beobachtet der Korrespondent eine besorgniserregende Entwicklung. «Die grossen Demonstrationen, die die Gewerkschaften organisiert haben, sind meist friedlich geblieben. Nun gab es spontane Proteste in Städten und Verhaftungen.»
Die anhaltenden Proteste gehen nicht spurlos am Élysée vorbei. «Wenn die Unruhen weiter andauern, könnte die Regierung Borne sehr bald gehen müssen», sagt Voll. Und auch der Druck der Gewerkschaften hält an. «Die Streiks im öffentlichen Verkehr und im Energiesektor gehen weiter, der Bahnbetrieb bleibt eingeschränkt, Ölraffinerien und Treibstoffdepots werden bestreikt.»
Mit den überstandenen Misstrauensvoten wurde die Rentenreform zwar vom Parlament beschlossen, wenn auch auf unorthodoxem Weg. Sämtliche Hürden hat sie aber nicht genommen. Die Opposition versucht die Reform noch durch Einsprachen beim Verfassungsrat zu stoppen.
Volk soll über Reform abstimmen
Zudem will sie eine Volksabstimmung über das Projekt zu erreichen. Die Anforderungen sind sportlich. Damit es zum Urnengang kommt, braucht es die Unterschrift von zehn Prozent der Wahlberechtigten – das sind 4.8 Millionen Bürgerinnen und Bürger. Daran sind bislang alle Initiativen gescheitert.
Vom Aufbruch in der Gesellschaft, wie ihn Macron nach seiner Wiederwahl versprochen hatte, ist nichts mehr zu spüren.
Für Donnerstag haben die Gewerkschaften gemeinsam zu einer weiteren Mobilisierung aufgerufen. «Die Beteiligung bei diesen Demonstrationen wird zeigen, wie breit der Protest in der Bevölkerung noch abgestützt ist», blickt der SRF-Korrespondent in Paris voraus.
Macrons Popularität am Tiefpunkt
Fest steht: Die Popularität von Präsident Macron ist erneut auf einen Tiefpunkt gesunken. Sie liegt derzeit auf dem Stand, den sie während der Gelbwesten-Proteste vor über vier Jahren erreicht hatte.
Und auch der innenpolitische Spielraum des Präsidenten sei wohl geschrumpft, sagt Voll. «Macron hat die Brechstange bei der Rentenreform eingesetzt, um seine politische Handlungsfähigkeit zu beweisen.»
Flügellahmer Präsident
Denn im Parlament habe Macron die Rückendeckung für seine Pläne überschätzt – gerade auch vonseiten der Konservativen, die sich in der Vergangenheit ebenfalls für eine Erhöhung des Rentenalters einsetzten.
Voll schliesst: Im Parlament fehlt es dem Präsidenten an Koalitionspartnern. «Und vom Aufbruch in der Gesellschaft, wie ihn Macron nach seiner Wiederwahl versprochen hatte, ist nichts mehr zu spüren.»