Macrons wichtigste Vorlage: Die Rentenreform ist das zentrale Projekt von Präsident Emmanuel Macrons zweiter Amtszeit. Weil sich das Rentensystem wegen der alternden Bevölkerung langfristig nicht finanziert, plant die Regierung eine tiefgreifende Reform.
Nun tagt die Regierung zum Vorhaben und dürfte das Projekt aller Voraussicht nach verabschieden. Danach soll es dem Parlament übergeben werden. «Die Opposition hat allen Grund, dagegen zu kämpfen», sagt SRF-Frankreich-Korrespondent Daniel Voll. «Denn sie kann damit Widerstand gegen die Regierung Macron an sich leisten.» Politisch steht also viel auf dem Spiel.
Das sind die Kernpunkte der Reform: Frankreichs Regierung will das Renteneintrittsalter schrittweise von 62 auf 64 Jahre anheben. Ausserdem soll die Zahl der notwendigen Einzahlungsjahre für eine volle Rente schneller steigen. Etliche Einzelsysteme mit Privilegien für bestimmte Berufsgruppen sollen abgeschafft werden.
Die monatliche Mindestrente soll auf etwa 1200 Euro steigen. Für Menschen, die besonders früh angefangen haben zu arbeiten oder deren Arbeitsbedingungen aussergewöhnlich hart sind, soll es jedoch früher in den Ruhestand gehen.
Darum ist der Widerstand so gross: Wegen der geplanten Rentenreform streikten in Frankreich am vergangenen Donnerstag über 1.1 Millionen Menschen. Der Widerstand gegen die Reform ist auch so gross, weil das im europäischen Vergleich tiefe Rentenalter von 62 vielen Menschen in Frankreich als zentrale soziale Errungenschaft gilt.
«Die Pläne, das Rentenalter auf 64 heraufzusetzen, werden als Angriff gegen eine Art französische Lebens- und Sozialkultur empfunden», erklärt Gilbert Casasus, emeritierter Professor für Europastudien an der Universität Freiburg.
Nach den Protesten hat die Regierung bereits angekündigt, dass Bezüger kleiner Renten künftig fünf Prozent mehr Geld erhalten werden. Interessant wird für SRF-Korrespondent Voll im weiteren Verlauf sein, ob die Regierung nach den massiven Protesten zu weiteren Konzessionen bereit ist.
So stehen die Chancen der Reform: Ab Februar dürfte das Parlament über die Reform debattieren. Die Regierungskoalition hat dort keine Mehrheit, braucht also auch Stimmen aus anderen Parteien. Sie darf mit der Unterstützung eines grossen Teils der konservativen Républicains rechnen, schätzt Voll. «Denn auch für sie geht die Erhöhung des Rentenalters in die richtige Richtung.»
Unbestritten ist die Reform bei den Konservativen aber nicht. Ungefähr ein Drittel wird wohl dagegen stimmen. Im Parlament dürfte es also sehr knapp werden. Die Parteien dürften auch darum ringen, wer der Bevölkerung seine «soziale Ader» zeigen kann, schliesst Voll.
Die entscheidende Rolle der Strasse: Die massiven Proteste gegen die Reform dürften die nächsten Tage und Wochen weitergehen. Sie könnten zum eigentlichen Stolperstein für die Reform werden, schliesst der Korrespondent: «In Frankreich kann die Strasse und der soziale Widerstand über Streiks gewaltigen Einfluss haben.» Die Regierung wird deswegen versuchen müssen, auf die Proteste einzugehen und die Unzufriedenheit zu bändigen. Mit offenem Ausgang.