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Repression gegen Kritiker Ein kalter Frühling in Russland

Wie ein Tag beginnt in Russland, in diesem Frühling 2021? Man steht auf und schaut erstmal im Internet nach, wen es über Nacht erwischt hat. Wer festgenommen wurde; zu wem sie für eine Hausdurchsuchung kamen; gegen wen ein Strafverfahren eröffnet wurde.

Es ist eine regelrechte Repressionswelle, die übers Land rollt. Am härtesten trifft es die Anhänger des Oppositionellen Alexei Navalny. Ihre Organisation soll als «extremistisch» verboten werden. Auf einer Terror-Liste ist sie schon gelandet. Man könnte sagen: Der russische Staat behandelt die friedlichen, engagierten Navalny-Leute gleich wie al-Qaida, wie die afghanischen Taliban.

2000 Festnahmen in zwei Wochen

Die Botschaft ist klar: Wer in Russland eine vom Kreml-Kurs abweichende politische Meinung vertritt und sich dann auch noch versucht zu organisieren, der wird gnadenlos verfolgt. Menschenrechtler haben gezählt: gegen 2000 Personen sind in den vergangenen zwei Wochen festgenommen worden, weil sie für Navalny demonstrierten, für ihn arbeiteten oder ihn sonst irgendwie unterstützten.

Auch Medienschaffende kommen ins Visier des Sicherheitsapparats: Das unabhängige Internet-Medium «Meduza» etwa wurde zum «ausländischen Agenten» erklärt. Neu muss die Meduza-Redaktion diese wenig schmeichelhafte Bezeichnung über jeden Artikel schreiben. Das Ziel ist klar: die Journalistinnen und Journalisten sollen als «russlandfeindliche Schädlinge» diskreditiert werden. Werbekunden laufen jetzt schon in Scharen davon.

Nicht einmal mehr Anwälte sind sicher: Gestern Freitag holte der Geheimdienst den prominenten Juristen Iwan Pawlow ab. Er verteidigte zahlreiche Angeklagte in politischen Prozessen – auch den Navalny-Leuten wollte er im Gerichtssaal beistehen.

Russland verhärtet – und isoliert sich

Der Kreml scheint sich zu einer Verschärfung des innenpolitischen Kurses entschlossen zu haben. Alle unabhängigen Institutionen, alle eigenständigen zivilgesellschaftlichen Kräfte sollen beseitigt werden. Russland steht vor einer politischen Eiszeit.

Und damit nicht genug: auch aussenpolitisch wird das Klima eisig. Mit gegen 10 Ländern ist Moskau in einen diplomatischen Schlagabtausch verwickelt. Vertreter Tschechiens, der Slowakei, der USA, Bulgariens, Italiens mussten Russland verlassen – und das ist nur ein Teil der Liste.

Russland verhärtet also nicht nur im Innern. Es isoliert sich auch zusehends in der Welt. Die amerikanische Botschaft hat diese Woche mitgeteilt, wegen der Massnahmen des Kremls habe man inzwischen zu wenig Personal, um Visa auszustellen. Das heisst: Russinnen und Russen können faktisch nicht mehr in die Vereinigten Staaten reisen.

Es ist, als wär ein Stück des Eisernen Vorhangs wieder aufgebaut worden.

Radio SRF4 News, 01.05.2021, 17:00 Uhr

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