«Endlich», sagt Michael Leigh, «scheint die britische Premierministerin Theresa May von ihren anfänglichen Fehler gelernt zu haben». May habe die Brexit-Verhandlungen ohne klare Strategie begonnen. Doch nun scheine sie endlich eine solche zu haben, die mindestens sie und ihr nächstes Umfeld zufriedenstelle.
Der frühere britische Top-Diplomat hat Karriere auch in den EU-Institutionen gemacht. Er kennt also beide Seiten bestens. Leigh erwähnt das Bild, der beiden Autofahrer, die aufeinander zurasen. Beide mit dem Ziel, nicht auszuweichen, um so den anderen zum Ausweichen zu zwingen – wer ausweicht, hat verloren.
Eine Taktik, den anderen davon zu überzeugen, dass man sicher nicht ausweiche, sei das eigene Steuerrad aus dem Fenster zu werfen: «Dann ist klar, dass man gar nicht mehr ausweichen kann, auch wenn man wollte.» Und May verfolge eine solche Strategie, betont Leigh.
May sagte bereits in der Vergangenheit verschiedentlich, dass das vorliegende Abkommen das einzig mögliche sei. Als sie dann aber nach ihrer historischen Niederlage letzte Woche sagte, sie werde nun genau zuhören, dachten manche an einen wirklichen Plan B, den sie an diesem Montag im britischen Parlament hätte präsentieren sollen.
Erinnerungen an Thatcher
Seit Montag sei aber definitiv klar, dass sich May fürs erste nicht bewege. Dabei hat May mit Margret Thatcher sogar ein prominentes historisches Vorbild für diese unbewegliche Haltung. Thatcher selber sagte über sich einmal «the lady is not for turning» – die Lady sei nicht für eine Kehrtwende.
Michael Leigh sieht bei May drei Ziele. Erstens will sie die Bemühungen von Parlamentariern unterbinden, die einen No-Deal-Brexit ausschliessen wollen. Eine solche Motion würde Mays Strategie behindern. Zweitens soll je näher der Austrittstermin rückt und je grösser das Risiko eines No-Deal-Brexit wird, der Druck auf die Parlamentarier zunehmen, das Abkommen doch noch gutzuheissen. Drittens dürfte May auf späte Konzessionen der EU hoffen.
Der Brexit könnte bald Sache der Juristen sein
Leigh sagt zwar, dass bei internationalen Verhandlungen Konzessionen immer erst ganz am Schluss gemacht würden. Allerdings warnt er: Die EU sei in der knappen Zeit bis zum 29. März gar nicht mehr in der Lage, das Abkommen nochmals nachzuverhandeln, auch wenn sie wollte. Dafür seien die internen Abstimmungsprozesse unter den 27 Mitgliedstaaten zu komplex.
Leigh rechnet denn auch mehr mit zusätzlichen Erklärungen zum Abkommen. Hier müssten findige Juristen und Diplomaten möglichst rechtsverbindliche Formulierungen finden, um die Briten zufriedenzustellen.
Neue Volksabstimmung illusorisch?
Leigh persönlich wünscht sich ein völlig anderes Vorgehen: Eine Verschiebung des Austrittsdatums, damit mehr Zeit für richtige Nachverhandlungen bleibt und am Schluss eine zweite Volksabstimmung über den Brexit. «Doch solche Szenarien sind angesichts der chaotischen Verhältnisse im britischen Parlament wohl gar nicht mehr möglich», sagt der ehemalige Top-Diplomat.
So bleibt Mays Strategie am Schluss vielleicht tatsächlich die einzig mögliche. Leigh übrigens rechnet mit 35 bis 40 Prozent, dass sie damit durch kommt.