Es ist ein Sieg für den afrikanischen Kleinstaat Gambia. Vor allem aber ist es ein Sieg für die muslimischen Rohingya in Myanmar und für Menschenrechtsorganisationen: Das oberste UNO-Gericht, der Internationale Gerichtshof in Den Haag, erklärt sich zuständig, darüber zu urteilen, ob die burmesischen Machthaber einen Völkermord gegen die Rohingya verübt haben. Sämtliche Einwände Myanmars dagegen wurden abgelehnt.
Normalerweise urteilt das oberste UNO-Gericht in Den Haag über direkte Konflikte zwischen zwei UNO-Mitgliedsländern. Sehr oft geht es um Grenzstreitigkeiten an Land oder den Verlauf von Seegrenzen. Entsprechend ungewöhnlich ist die Klage, die das westafrikanische Gambia 2019 gegen Myanmar angestrengt hat.
Möglicher Verstoss gegen Genozid-Abkommen
Beide Staaten sind Mitglieder des sogenannten Genozid-Abkommens von 1948, haben sich also verpflichtet, Völkermord zu ächten und zu bekämpfen. Myanmar hat hingegen, aus Sicht Gambias, exakt das Gegenteil getan, nämlich selber gegen die muslimische Minderheit der Rohingya einen Völkermord verübt. Es verletzte damit, so Gambia, das Abkommen, das zwingendes Völkerrecht darstellt, auf gravierende Weise. Deshalb strengte Gambia, unterstützt von der Islamischen Weltorganisation OIC mit ihren mehr als 50 Mitgliedern sowie weiteren Staaten, einen Prozess beim UNO-Gerichtshof an.
Mit zahlreichen Einwänden versuchte Myanmar zu verhindern, dass sich die UNO-Richterinnen und -Richter überhaupt mit dem Fall beschäftigen: So sei Gambia gar nicht direkt betroffen vom Rohingya-Konflikt. Es sei als Kläger lediglich vorgeschoben worden von anderen Staaten; und es sei unzulässig, dass irgendein Unterzeichnerstaat gegen einen anderen klage, weil der angeblich ein Abkommen nicht einhalte.
Erstes Urteil ist bemerkenswert
Sämtliche burmesischen Einwände hat nun das Gericht unter dem Vorsitz von Richterin Joan Donoghue entschieden vom Tisch gewischt, mehrheitlich gar einstimmig. Es fällte damit ein bemerkenswertes Urteil von potenziell sehr grosser Tragweite: Denn es nimmt damit sämtliche Unterzeichnerstaaten internationaler Abkommen in die Pflicht, für deren Durchsetzung zu sorgen. Und zwar indem es ihnen das Recht einräumt, zu klagen, wenn sie der Ansicht sind, andere Staaten foutierten sich um die eingegangenen Verpflichtungen.
Das Urteil in der Sache, nämlich ob Myanmar an den Rohingya tatsächlich einen Völkermord verübt hat – oder gar weiter verübt –, steht allerdings noch aus. Es dürfte, wie beim obersten UNO-Gericht üblich, noch längere Zeit, gar Jahre auf sich warten lassen.
Ein Etappensieg für die Rohingya
Doch die Aussichten für eine Verurteilung Myanmars sind beträchtlich. Zumal UNO-Ermittlungen schon zuvor zum Schluss kamen, die burmesischen Militärmachthaber hätten «Handlungen mit Genozid-Charakter begangen», und zwar mit der Absicht, einen Völkermord zu begehen.
Auch UNO-Generalsekretär António Guterres äusserte sich entsprechend, ohne selber allerdings das Wort Völkermord in den Mund zu nehmen. Auf eine entsprechende Journalistenfrage, ob man von einem Genozid sprechen müsse, meinte er in einer viel zitierten Äusserung: «Wenn ein Drittel der Rohingya aus dem Land fliehen muss – gibt es da ein besseres Wort, um das zu beschreiben?»
Insofern ist das heutige UNO-Urteil aus Den Haag von grundsätzlicher Bedeutung und ein wichtiger moralischer und juristischer Etappensieg für die Rohingya-Bevölkerung.