Kaum Thema in diesem Wahlkampf sind hingegen ganz praktische Probleme: die hohen Lebenshaltungskosten etwa. Und vor allem die enorm angestiegenen Mieten und Immobilienpreise.
Wohnen in Israel ist teuer. Sehr teuer. Nimrod Bousso ist Chefredaktor von «Merkaz haNadlan», einer Online-Publikation für die Immobilienbranche. In den vergangenen 14 Jahren seien die Preise für Immobilien um 130 Prozent gestiegen, erzählt Bousso in einem Café im Süden Tel Avivs – allein im vergangenen Jahr verteuerten sich Immobilien um 19 Prozent.
Die Wirtschaft floriert, nicht alle profitieren
Der Preisanstieg bezieht sich nicht nur auf Wohneigentum, auch die Mieten sind betroffen. Die Gründe für diesen Anstieg sieht Bousso im vergleichsweise hohen Bevölkerungswachstum, es sind fast zwei Prozent jährlich, unter anderem wegen des Kinderreichtums vieler Familien. In dem kleinen Land ist der Platz für Neubauten ausserdem beschränkt.
Und noch etwas: Die Wirtschaft floriert, viel Geld fliesst ins Land, vor allem dank der High-Tech-Industrie – das heisst wegen der Forschung und Entwicklung von Software, von Kommunikationstechnologie oder der Cybersicherheit. Es gibt also mehr Haushalte, und vielen dieser Haushalte geht es wirtschaftlich besser und besser. Viele Leute können sich teuren Wohnraum leisten. Als Käuferinnen oder als Mieter.
2700 Fr. im Monat für 60 Quadratmeter – auch kein Taschengeld
Einer von ihnen ist Dan Klarman. Er empfängt uns in seiner Wohnung in der Schlomo-haMelekh-Strasse, in einem freundlichen, grünen Quartier im Norden Tel Avivs. Die Wohnung im vierten Stock ist hell, neu renoviert, hat einen hübschen Balkon, der den Blick freigibt über die Häuserflut von Nord-Tel-Aviv. In der Ferne erahnt man das Mittelmeer. Der Software-Ingenieur arbeitet beim Facebook-Konzern Meta, das Büro ist von seiner Wohnung aus bequem per Velo erreichbar. Für die Zweizimmerwohnung von 60 Quadratmetern zahlt Mieter Klarman monatlich etwa 2700 Franken. Auch für ihn kein Taschengeld, sagt er.
Als Angestellter der High-Tech-Branche gehört Klarman zu den Grossverdienern in Israel – ihre Durchschnittslöhne sind doppelt so hoch wie die Löhne anderer Angestellter. Es sind aber nur gut 10 Prozent der berufstätigen Bevölkerung, die in der High-Tech-Industrie arbeiten.
Existenzielle Dinge erscheinen im Wahlkampf nebensächlich
Der Immobilienmarkt habe sich quasi auf sie ausgerichtet, sagt Branchen-Experte Bousso. Es gebe immer noch viele Lehrerinnen, Polizisten, oder Journalisten wie er – Leute mit normalen Jobs, die nicht mithalten könnten mit diesen Preisen. Für sie wird es schwierig bis unmöglich, Wohnungen oder Häuser zu kaufen oder die hohen Mieten zu bezahlen.
Doch allgemein geht es bei den Wahlen laut Bousso mehr um ideologische Fragen statt um alltägliche Probleme: Der Konflikt mit den Palästinensern, das Verhältnis zwischen Religion und Staat sind die Top-Themen. Und immer wieder geht es um den langjährigen Regierungschef Benjamin Netanjahu, der mehrere Prozesse wegen Korruption und Betrug am Hals hat und wieder an die Macht will. Das Land ist tief gespalten. Selbst so existenzielle Dinge wie ein Dach über dem Kopf erscheinen dagegen nebensächlich.