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Rücktritt der Grünen-Spitze Olaf Scholz und der Ritt auf dem toten Pferd

Manchmal erklärt eine Szene an der Kaffeemaschine alles. Diese Woche kam Kanzler Scholz aus New York zurück. Nachtflug, wenig Schlaf. Trotzdem gings direkt in den Bundestag zu seiner Fraktion. Kurz vor Sitzungsbeginn braucht der Kanzler noch einen Kaffee. Doch der Kaffee ist aus. Es gibt nur noch heisses Wasser. Kein Koffein für einen Kraftlosen. «Sorry», sagt die Frau vom Catering leise.

Ähnlich kraftlos fühlen sich die Grünen-Chefs Omid Nouripour und Ricarda Lang. Jetzt also der Rücktritt – nach drei katastrophalen Wahlniederlagen in Folge. Thüringen, Sachsen, Brandenburg – die Umwelt-Partei praktisch pulverisiert.

Grünen werden zerrieben

Omid Nouripour spürte die fundamentale Krise der Ampel-Regierung schon länger. Neulich erklärte er die Koalition als «Übergangs-Koalition». Eigentlich eine Bankrotterklärung. Die Grünen werden in der Regierung mit der SPD von Kanzler Scholz und der FDP zerrieben, liegen bundesweit diese Woche erstmals unter zehn Prozent.

Wichtige Projekte kommen nicht voran – die Grüne Basis ist jeden Tag mehr verwirrt. Wofür stehen diese Grünen eigentlich? Die E-Auto-Wende stockt, man diskutiert bereits wieder höhere CO₂-Grenzwerte für Verbrenner.

Bei der Migration ist es dasselbe: Von der AfD getrieben, überbieten sich auch Sozialdemokraten mit harten und härtesten Massnahmen an der Grenze. Für die Grünen, eine Partei mit grossem sozialen Gewissen, mit tiefen Wurzeln in der Friedensbewegung, eine Zumutung. Wählerinnen und Wähler vor allem im Westen Deutschlands reiben sich die Augen. Was passiert da mit meiner Partei? Welche grundlegenden Werte werden in der Ampel-Koalition noch erodieren?

FDP mit ähnlichen Problemen

Eine grosse Tasse Kaffee bräuchte Scholz auch, wenn ihm die FDP den Schlaf geraubt hat in der Nacht. Die FDP leidet unter einem ähnlichen Problem wie die Grünen: Wahl- und Umfrageschlappen, kein richtiges Profil mehr. Darum kommen die Liberalen fast jede Woche mit einer neuen Drohung: Ampel-Regierung sprengen, Austritt aus der Koalition.

Diese Woche riefen die Liberalen einen «Herbst der Entscheidung» aus. Wenn nicht vor allem fiskalische Kernforderungen der FDP erfüllt würden, dann sei die Ampel am Ende. Termin: Der 21. Dezember, das astronomische Ende des Herbstes. Fast schon ein Gag.

Wer sich in den Gängen des Bundestags umhört, der spürt: Die ständigen Drohungen der Liberalen gehen allen auf die Nerven. Besonders den Grünen.

Nur Angst hält die Koalition noch zusammen

Eine Koalition also, die allen nur noch schadet. Zusammengehalten nur noch durch die Angst, bei Neuwahlen viel oder fast alles zu verlieren. Da hängen viele Karrieren dran – befeuert wird die Angst der Abgeordneten noch zusätzlich durch die Verkleinerung des Bundestags – 100 Sitze weniger wird das Deutsche Parlament in der nächsten Wahlperiode haben, der Verteilungskampf wird enger.

Sie wollen den Weg freimachen für einen «Neuanfang», sagen Nouripour und Lang heute. Doch an diesen «Neuanfang» glaubt praktisch niemand mehr. Kaffee gibts schon lange nicht mehr, heisses Wasser geht auch bald aus. Was bleibt, was droht: Ein Verpuffen dieser Ampel, ein Knall und nicht mal mehr heisse Luft.

Stefan Reinhart

Leiter Ausland-Korrespondentinnen und -Korrespondenten

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Stefan Reinhart ist Leiter der Ausland-Korrespondentinnen und -Korrespondenten und Chef vom Dienst im Newsroom Zürich. Zuvor war er Deutschland-Korrespondent für SRF.

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Video
Archiv: Solingen-Attentat: Ampelkoalition verabschiedet Massnahmenpaket
Aus 10 vor 10 vom 29.08.2024.
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Rendez-vous, 25.09.2024, 12:30 Uhr

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