Gut 24 Stunden ist es her, seit die britische Premierministerin im Parlament in Westminster auftrat. Dabei gab sich Liz Truss noch siegessicher: «Ich bin eine Kämpferin, ich gebe nicht auf», sagte sie. Ein Rücktritt nach gerade 45 Tagen im Amt ist historisch, aber er kommt nicht ganz überraschend. Die Premierministerin hat schlicht jeglichen Rückhalt verloren.
Während Truss gestern im Unterhaus Durchhalteparolen verkündete, zerlegte sich die Partei weiter auf offener Bühne. Überraschend trat gestern die Innenministerin zurück. Ein enger Berater musste wegen Indiskretionen den Hut nehmen. Und in der Wandelhalle des Unterhauses wurden Tory-Parlamentarier, die sich nicht stromlinienförmig verhielten, bedrohlich domestiziert.
Diese Ereignisse brachten das Fass zum Überlaufen. Es waren Indizien, dass Liz Truss das Geschehen nicht mehr unter Kontrolle hat. Immer mehr Parlamentarierinnen und Parlamentarier forderten in der Folge öffentlich ihren Rücktritt. Nun hat sie dem Druck nachgegeben.
Wer wird Nachfolgerin oder Nachfolger?
Namen für die Nachfolge werden seit Tagen herum geboten: der frühere Schatzkanzler Rishi Sunak, die frühere Kandidatin Penny Mordaunt oder Verteidigungsminister Ben Wallace. Selbst Boris Johnson wird als möglicher Kandidat feilgeboten. Zur Stunde ist das Rennen aber noch völlig offen. Absehbar ist dagegen, dass die nächste Regierung über eine grössere Artenvielfalt verfügen wird und nicht mehr nur aus loyalen Gläubigen eines Parteiflügels bestehen wird.
Bis in zehn Tagen will die Regierungspartei eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger präsentieren. Für eine mehrwöchige Zeltmission durchs Land, wie in diesem Sommer, fehlt die Zeit. Die konservative Parlamentsfraktion will in den kommenden Tagen zwei Kandidaten auswählen. Danach soll die Parteibasis allenfalls das letzte Wort haben. Klar ist, dass die Mehrheit der 70 Millionen Britinnen und Briten einmal mehr nicht mitreden kann, wer als Nächstes in Downing Street einzieht.
Opposition fordert Neuwahlen
Vier abtretende Premierminister innerhalb von sieben Jahren sei genug. Schatzkanzler und Ministerinnen, die buchstäblich kommen und gehen, zeigten, dass die Konservativen schlicht nicht mehr regierungsfähig seien, sagt der Chef der oppositionellen Labour-Partei, Keir Starmer. Umfragen geben ihm recht: Labour würde heute eine Wahl klar gewinnen. Dies ist auch der Grund, weshalb die Tories eine vorgezogene Neuwahl mit allen Mitteln verhindern wollen.
Eine Regierung, die sich auf offener Bühne zerlegt, mag ein unterhaltsames Drama sein. In erster Linie ist es jedoch ein stossendes Ärgernis für die Britinnen und Briten, die sich ausserhalb von Westminster täglich mit der Realität abmühen müssen; mit steigenden Lebensmittelpreisen, Hypotheken und Energiekosten. Über zwei Millionen Bürgerinnen und Bürger wissen nicht mehr, wie sie ihre Rechnungen zahlen oder die Essensbox ihrer schulpflichtigen Kinder füllen sollen. Sie wünschen sich von ihrer Regierung nicht ein lähmendes Drama, sondern Lösungen.