Iran griff am Dienstag Stützpunkte einer extremistischen Sunnitengruppe in Pakistan an und begründete dies mit deren Verbindung zu Israel. Pakistan reagierte heute mit Raketenangriffen auf die iranische Provinz Sistan und Belutschistan und nannte ebenfalls Extremisten als Ziel. Wie gross das Eskalationspotenzial dieser Angriffe für die Region ist und welche Rolle der Gaza-Krieg spielt, erklärt SRF-Nahostkorrespondent Thomas Gutersohn.
Gibt es einen Zusammenhang zum Gaza-Krieg?
Der jüngste Schlagabtausch zwischen Teheran und Islamabad hat einen klaren, aber indirekten Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg und ist als weiteres Kapitel der Gewaltspirale im Nahen Osten zu werten. Ein neuer Krieg zwischen Iran und Pakistan muss dabei nicht zwingend folgen. Aufgeschlagen hat das Kapitel vor zwei Wochen der Islamische Staat mit dem Doppel-Bombenanschlag, der in der iranischen Stadt Kerman rund hundert Tote forderte. Inzwischen ist bekannt, dass der afghanische Zweig des IS den Anschlag geplant hatte. Dieser versteckt sich in Belutschistan, seit die Taliban den IS aus Afghanistan vertrieben haben.
Was bezwecken die Terrornetzwerke in der Region?
Die Terrornetzwerke wollen ihren Einfluss verstärken: Dem IS und anderen sunnitischen Terrororganisationen ist es zutiefst zuwider, dass sich ausgerechnet der schiitische Iran mit seinen Netzwerken quasi als einziger Gegner Israels präsentiert. Dies mit der «Achse des Widerstands», zu welcher die Hisbollah im Libanon und die Huthis in Jemen gehören. Es sind allesamt schiitische Organisationen, die sich jetzt als Verfechter der palästinensischen Sache präsentieren. Ihr Einfluss im arabischen Raum steigt zurzeit, und sie gewinnen auch Sympathien unter der mehrheitlich sunnitischen Bevölkerung. Genau das versuchen der IS und andere Terrororganisationen im sunnitischen Feld zu verhindern. Ihre Anschläge sind also eine Art PR-Aktion, um Präsenz zu markieren.
Wie reagieren die arabischen Staaten?
Die mehrheitlich sunnitisch geprägten arabischen Staaten halten sich auffällig zurück. Sie versuchen eher zu vermitteln, als sich einzumischen, wie Katar, Ägypten und Jordanien zeigen. Das hat auch damit zu tun, dass hier Wirtschaftsinteressen mittlerweile eine grössere Rolle spielen als der ideologische Kampf für die Palästinenser. Da kommen sie nicht an den USA und Israel vorbei. Mehr und mehr arabische Führer verabschieden sich von der palästinensischen Frage und normalisieren die Beziehungen zu Israel. So etwa Saudi-Arabien, das entsprechende Gespräche mit Israel nach dem Gaza-Krieg wieder aufnehmen will. Die Zeiten, wo sich sunnitische Führer wie etwa Saddam Hussein klar anti-israelisch geäussert haben, sind also vorbei. Sie finanzieren vielmehr Milizen im Hintergrund, die den Kampf dennoch irgendwie aufrechterhalten. Die Palästinenser sind so in letzter Zeit mehr und mehr in die Hände von Milizen und Terrornetzwerken gefallen. Und in die Hände von Iran, das sich mehr denn je als die starke anti-israelische Macht im Nahen Osten versteht.
Welche Botschaft senden Iran und Pakistan aus?
Weder Iran noch Pakistan gehören zur arabischen Welt. Dennoch beobachten sie mit grosser Sorge, wie innerhalb von nur drei Monaten der Gaza-Krieg immer weitere Kreise zog. Die Angst vor einem Flächenbrand ist vor allem unter der Bevölkerung gross, die selbst mit enormen Problemen zu kämpfen hat. Niemand will nach Jahrzehnten mit Kriegen und schweren Wirtschaftskrisen in einen neuen flächendeckenden Krieg hineinstolpern.