Der trockene Husten plagt Asha Sundar Ughade schon seit Tagen. Doch im Vergleich zu ihren chronischen Leiden ist der Husten noch das kleinste Übel. «Mein Körper ist schwach. Alles tut mir weh», sagt die 35-jährige Frau. In ihrem gelben Sari hockt sie auf dem nackten Lehmboden vor ihrem Haus. Ughade hebt einen Stahlkrug hoch und giesst etwas Wasser über die Zehen ihres linken Fusses. Auch die tun ihr weh.
Asha Sundar Ughade gehört zu der knappen Million von Arbeiterinnen und Arbeitern, die jedes Jahr im Oktober ihre Dörfer im Bundesstaat Maharashtra für rund sechs Monate verlassen, um auf den Zuckerrohrfeldern an der Grenze zum Nachbarstaat Karnataka zu arbeiten. Ihre eigenen Felder sind zu trocken.
Ughade zeigt auf ein paar Plastikplanen, die unter das Dach ihres ärmlichen Hauses geklemmt sind: In ein paar Tagen wird sie sie wieder auf den Lastwagen packen, mit zu den Zuckerrohrfeldern nehmen und ein Zelt daraus bauen. Das wird ihr Unterschlupf sein für die nächsten Monate. Ein Unterschlupf ohne Toilette, ohne fliessend Wasser – für die ganze Familie.
Mit zwölf Jahren verheiratet
Mit zwölf Jahren sei sie verheiratet worden, erzählt die Frau mit ausdruckslosen Augen. Wie die meisten anderen im Dorf arbeitet das neue Paar danach gemeinsam auf den Zuckerrohrfeldern: Zuckerrohr schneiden, bündeln und auf den wartenden Laster werfen. Ihr Tag beginnt um 02:30 Uhr nachts und dauert bis zu 16 Stunden. Bis zu 35 Kilo wiegt ein Bündel Zuckerrohr. Schon das ist eigentlich zu viel für eine kleine Frau.
Als sie 13 war, wurde das erste Kind geboren. Als das Dritte kommt, ist Asha Sundar Ughade immer noch ein Teenager.
Die kleinen Kinder habe ich auch auf dem Rücken getragen.
Bis zur Geburt ist sie auf dem Feld. Und schon wenige Tage nach den Geburten geht es weiter mit der Arbeit. «Die kleinen Kinder habe ich auch auf dem Rücken getragen», sagt Ughade. «Wo hätte ich sie sonst lassen sollen?»
Wer nicht arbeitet, verdient kein Geld. Und muss zusätzlich eine Strafe an den Besitzer der Zuckerfabrik, den Zucker-Lord, zahlen. Die drohende Strafe ist der Grund, warum die Frauen ihre schwere Arbeit selbst während der Menstruation nicht unterbrechen. Vier Tage im Monat, die zur Qual werden können. Toiletten gibt es nicht auf den Feldern.
Anhaltende Schmerzen
«Wir benutzen Stoffstreifen, um das Blut aufzufangen. Aber wir haben keine Zeit, um sie während der Arbeit zu wechseln», sagt Asha Sundar Ughade. Oft hätten sie nicht einmal abends Zeit, um die Binden zu waschen. Und selbst wenn: sie trockneten nicht, blieben schmutzig. Die Folge: häufige Entzündungen im Unterleib.
Irgendwann kamen die Schmerzen. Sie hörten nicht mehr auf. Ein Doktor in einem Privatspital warnt vor Krebs. Und rät dazu, die Gebärmutter zu entfernen. «Der Doktor sagte: Es gibt keine Alternative.» Asha Sundar Ughade ist da gerade 22.
Nach der Operation kann sie zwei Monate nicht sitzen, geschweige denn arbeiten. Die Schmerzen bleiben. 70'000 Rupien habe sie für Operation und Nachbehandlung bezahlen müssen, sagt die hustende junge Frau, umgerechnet 760 Franken. Die Familie nimmt ein Darlehen auf. Drei Jahre wird es dauern, bis es zurückgezahlt ist.
Ein paar Dörfer weiter, eine Autostunde entfernt: Zehn Frauen in bunten Saris sitzen auf dem Boden eines Gemeindehauses. An der Aussenwand warnen Malereien vor Kinderheiraten. Aber auch für diese Frauen ist es schon zu spät: Sie alle sind mit elf oder 12 Jahren verheiratet worden, sie alle arbeiten seitdem mit dem Mann in den Zuckerrohrfeldern, sie alle haben keine Gebärmutter mehr. Die Geschichten ähneln sich, seit Generationen.
«Ich war 24, als meine Gebärmutter entfernt wurde», sagt Indu Santram Gorde. «Ich hatte Bauchschmerzen. Der Doktor im Privatspital sagte: Die Gebärmutter muss raus.» Warum genau? Sie weiss es nicht. Auch die Frau mit dem goldenen Nasenstecker hat seit der Operation vor mehr als zehn Jahren chronische Schmerzen. Der Doktor gebe Medikamente. «Ein paar Tage ist es gut, dann beginnt es von vorn», sagt die Mittdreissigerin.
Eine Studie der Universität Pune zeigt, dass ein Drittel aller Arbeiterinnen auf den indischen Zuckerrohrfeldern keine Gebärmutter mehr hat. Die Hälfte von ihnen hat auch nach der Operation Probleme: Rückenschmerzen, Fussweh, Inkontinenz, Schlaflosigkeit.
Niemand klärt die Frauen über Risiken auf
Ein einfaches Restaurant an einer Strasse, die zum Dorf führt: Hier ruht sich Arundati Patil nach einem anstrengenden Vormittag in den Dörfern aus. Die Dozentin und Sozialarbeiterin von der Nichtregierungsorganisation Manavlok kämpft seit Jahren gegen Kinderarbeit und für eine bessere Gesundheit der Zuckerrohr-Frauen.
«Die Frauen hoffen, dass sie mit der Gebärmutter auch alle anderen Probleme loswerden und sie ohne Menstruation besser arbeiten können», sagt Patil. Um möglichst wenig Arbeitstage zu verlieren, gingen sie nicht in staatliche Spitäler, wo sie lange warten müssten, sondern in Privatspitäler – obwohl das viel teurer ist. «Die Ärzte dort operieren sehr schnell – niemand klärt die Frauen über die Risiken auf.»
Die Regierung wisse Bescheid. Aber sie unternehme nichts. Es dürfte damit zusammenhängen, dass die rund 200 Zuckerfabriken überwiegend Politikern und Politikerinnen gehörten, sagt Arundati Patil. Die Lobby aus Subunternehmern und Zucker-Lords sei sehr stark.
26 Arbeitspaare für 6400 Franken – das Geschäft der Subunternehmer
Einer dieser Subunternehmer, Isak Habib Pathan, ist gerade im Dorf Anjandoh unterwegs. Sein Auftrag ist es, 26 Paare für die nächste Zuckerrohrsaison anzuwerben. Für ein halbes Jahr Arbeit erhalten sie umgerechnet zwischen 1000 und 1500 Franken. «Wenn ich einen Wagen mit zwei Anhängern fülle, zahlt mir der Besitzer der Zuckerfabrik 600'000 Rupien», erzählt Pathan. Umgerechnet 6400 Franken.
Auch Pathan weiss, dass sich überdurchschnittlich viele seiner Arbeiterinnen die Gebärmutter herausschneiden lassen. Einen Zusammenhang mit den harten Arbeitsbedingungen auf den Zuckerrohrfeldern weist er zurück. Es stimme auch nicht, dass die Frauen eine Strafe zahlen müssten, wenn sie während der Menstruation nicht arbeiteten, wie es viele Frauen in den Dörfern erzählt haben. Sie bekämen einfach keinen Lohn, sagt Pathan. Darum arbeiteten die meisten Frauen auch während der Blutung.
Auch Asha Sundar Ughade aus dem Dorf Kasari muss wieder zurück aufs Feld. In wenigen Tagen wird sie auf einen bunt geschmückten Lastwagenanhänger klettern und zwei Tage bis zur Grenze nach Karnataka fahren, zu den Zuckerrohrfeldern.
Auch ihre Tochter wird dabei sein. Auch sie musste schon als Kind mit aufs Feld, weit weg von der Schule. Auch sie wurde früh verheiratet. Wie ihre Mutter. «Es ist ein ewiger Kreislauf», sagt Asha Sundar Ughade. «Wir haben keine andere Wahl.»