Ende letzter Woche erhielt Schulleiterin Sarah Smith in Sussex einen Anruf vom Erziehungsministerium. Es gebe ein Problem: Teile ihrer Schule seien einsturzgefährdet und dürften nicht mehr benutzt werden. Seit diesem Anruf ist die Pädagogin auf der Suche nach Schulzimmern, Toiletten und einer Schulküche für ihre Schülerinnen und Schüler.
Auslöser für die alarmierende Hektik ist ein Zement namens «RAAC», der in den 1970er-Jahren verbaut wurde. Auf den ersten Blick erinnert seine Struktur ein bisschen an einen Schokoriegel – er besteht mehrheitlich aus Luftbläschen. Gemäss Baufachleuten galt der poröse Zement einst als billig und isolierend – 50 Jahre später jedoch als brüchig und gefährlich.
«Wir haben die Lage im Griff!»
Trotzdem versichert die britische Erziehungsministerin Gillian Keegan der verunsicherten Öffentlichkeit, man habe die Lage völlig im Griff. Die betroffenen Schulhäuser seien identifiziert – man arbeite Tag an Nacht daran, das Problem zu lösen. Die grosse Mehrheit der Schulen im Land sei nicht vom Problem betroffen und sicher.
Eltern müssten sich also keine Sorgen machen, dass ihren Kindern in der Schule die Decke auf den Kopf fällt. Die zur Beruhigung gedachten Worte überzeugten jedoch viele Britinnen und Briten nur bedingt. Dies besonders, weil mittlerweile bekannt ist, dass einst nicht nur Schulen mit dem altersbrüchigen Zement gebaut wurden, sondern ebenso Spitäler, Gefängnisse, Kasernen und andere öffentliche Gebäude.
Heftige Kritik der Opposition
Eltern und Kinder zwei Tage vor Schulbeginn darüber zu informieren, dass ein normaler Schulbetrieb nicht möglich ist, sei eine Zumutung, sagte der prominente Labour-Abgeordnete Steve Reed gegenüber der BBC: «Das ist ein klares Versagen der Regierung, denn das Problem mit diesem Zement ist längst bekannt. 2018 ist in einer Schule in Kent ein Dach eingestürzt.»
Es habe auch seit einigen Jahren genügend Berichte darüber gegeben, dass die Bausubstanz in vielen öffentlichen Gebäuden desolat ist. Der «Zement-Skandal» sei ein weiteres Indiz für das Versagen der konservativen Regierung, welche nach 13 Jahren an der Macht die öffentlichen Infrastrukturen «an den Rand des Kollapses» gebracht habe, so Reed weiter.
Die irritierende Tatsache, dass ein Teil der öffentlichen Gebäude offenbar zu jedem Zeitpunkt ohne Vorwarnung einstürzen kann, ist tatsächlich nicht allein einem spröden Zement aus den 1970er-Jahren geschuldet, sondern zeigt nach Jahren des Sparens exemplarisch, wie brüchig die öffentlichen Infrastrukturen im Vereinigten Königreich mittlerweile sind.