Eine Klägerin sagte, Harvey Weinstein habe sie zu oralem Sex gezwungen, obwohl sie sich verbal gewehrt habe. Die zweite Klägerin sagte aus, er habe sie in einem Hotelzimmer vergewaltigt. Zweimal war Manhattan der Tatort und beide Frauen sind Schauspielerinnen, die in einem beruflichen Abhängigkeitsverhältnis zu Weinstein standen.
Und die Frauen blieben nach der Tat mit dem Film-Mogul in Kontakt, flirteten mit ihm oder hatten sogar weitere sexuelle Kontakte. Sie habe ihre Karriere retten wollen, sagte ein Opfer. Normalerweise wäre das Wasser auf den Mühlen der Verteidigung. Nicht im Fall Weinstein.
Denn der Anklage gelang es im monatelangen Prozess darzustellen, dass es sich nicht um Einzelfälle handelte, sondern Weinstein jahrzehntelang und systematisch seine Macht missbraucht und sexuelle Straftaten begangen hatte – im Schatten der glamourösen Filmwelt.
Rund 90 mutmassliche Opfer traten an die Öffentlichkeit
Im Prozess traten weitere Frauen als Zeuginnen auf, obwohl die Taten, die sie beschrieben, verjährt oder nicht dem Gerichtsstand unterstellt waren. Insgesamt haben rund 90 Schauspielerinnen – bekannte und unbekannte – inzwischen öffentlich bezeugt, sie seien von Weinstein genötigt oder vergewaltigt worden.
«Vergewaltigung ist Vergewaltigung, auch wenn die Tat vor langer Zeit geschehen ist, auch wenn komplexe Machtverhältnisse vorherrschen und auch wenn es keine physischen Beweismittel gibt», sagte der New Yorker Staatsanwalt Cyrus Vance. Die Verteidigung legt gegen das Urteil Berufung ein.
Das Urteil ist sicherlich ein Sieg für die sogenannten #Metoo-Bewegung, die mit dem Fall Weinstein in den sozialen Medien ins Rollen kam. Die ominöse «Casting couch» von Hollywood hat wohl ausgedient – ein Euphemismus für sexuelle Dienstleistungen, welche mächtige Produzenten von Debütantinnen einforderten und auch erhielten.
Richtungsweisendes Urteil
Juristisch ist das Urteil richtungsweisend, weil sich die Anklage in ihrem Zeuginnenprozess ganz auf die Aussagen der Frauen stützte – und auf deren Glaubwürdigkeit, welche die Verteidigung in Sexualstrafrechtsprozessen oft zu demontieren vermag.
Opferhilfe-Organisationen hoffen nun, dass das Urteil die Hürden für Klagen gegen sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz senken wird. Sie schätzen, dass in den USA nur jedes fünfte Sexualverbrechen gemeldet wird. Allerdings gibt es auch Stimmen, die davor warnen, den Effekt eines prominenten Einzelfalls auf die allgemeine Rechtsprechung überzubewerten.
Harvey Weinstein, Produzent von Kultfilmen wie «Pulp Fiction» und «Shakespeare in Love», sitzt nun im Gefängnis. Es drohen ihm mindestens fünf Jahre Haft, maximal 25. In Kalifornien ist ein weiterer Sexualstrafrechtsprozess gegen ihn hängig.
SRF 4 News, 25.2.2020, 06:00 Uhr; arnf