Der einflussreiche demokratische Mehrheitsführer im US-Senat, Chuck Schumer, hat letzte Woche Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu scharf kritisiert. Er hat gar Neuwahlen gefordert. Netanjahu hat Schumers Kritik an ihm und seiner Regierung mit scharfen Worten zurückgewiesen.
«Ich finde, dass das, was er gesagt hat, völlig unangemessen ist», sagte Netanjahu in einem am Sonntag ausgestrahlten Interview des US-Senders CNN. Es sei unangebracht, einer anderen Demokratie vorzuschreiben, die gewählte Führung dort zu ersetzen.
Differenzen in der amerikanisch-israelischen Beziehung
Zu Beginn des Angriffs der Hamas auf Israel haben sich die USA klar auf die Seite Israels gestellt. Doch es tun sich auch Gräben auf, und die USA kritisieren die israelische Kriegsführung immer schärfer. Langfristig fordern die USA eine Zweistaatenlösung, also die Schaffung eines palästinensischen Staates. Netanjahu hat dafür kein Gehör.
Dass ausgerechnet Chuck Schumer als Jude und Mehrheitsführer der Demokraten im Senat Netanjahu kritisiert, zeige das Ausmass des Problems für die amerikanische Regierung, sagt Sebastian Ramspeck. Er ist internationaler Korrespondent für SRF. Der Gazakrieg werde für die USA zunehmend zu einem innen- wie aussenpolitischen Problem.
Auch die überdeutliche Reaktion von Netanjahu überrasche nicht. «Kein Regierungschef lässt sich gerne eine so grundsätzliche Kritik an seiner Person gefallen. Und schon gar nicht Netanjahu von einem Chuck Schumer», sagt Sebastian Ramspeck.
Diese scharfe gegenseitige Kritik sei aussergewöhnlich: «Es ist ungewöhnlich, dass ein Politiker in dieser Position in einer Demokratie den Regierungschef einer anderen Demokratie auf diese fundamentale Weise kritisiert – und das eines eng befreundeten Staates. Die USA ergänzen die Politik zugunsten von Israel um eine israelkritische Rhetorik.» Das sei ein klarer Hinweis: «Die Nerven liegen blank.»
Demokraten müssen um Stimmen buhlen
Bei diesem ungewöhnlichen Schlagabtausch geht es laut dem Korrespondenten auch um politisches Kalkül. In weniger als acht Monaten wählen die USA einen neuen Präsidenten und auch das Parlament wird grösstenteils neu gewählt. «Für Joe Biden geht es um jede Stimme, auch um die der Netanjahu-kritischen, propalästinensischen, muslimischen, linken und progressiven Wählerschaft», sagt Ramspeck.
Bei den letzten Wahlen gingen diese Stimmen mehrheitlich an die Demokratische Partei. Doch immer mehr Stimmen in den USA kritisieren den Krieg und das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza. «Wenn diese Menschen den Eindruck haben, dass die USA zu wenig für die Palästinenserinnen und Palästinenser tut, könnten viele von ihnen im November nicht wählen gehen», so Ramspeck, «Daher gehe ich davon aus, dass jemand wie Chuck Schumer mit seinen Äusserungen auch Wahlkampf betreibt.»
Benjamin Netanjahu dürfte sich die Worte aus den USA zunutze machen. Er sei zwar als Politiker bei vielen unbeliebt, so Ramspeck. Doch nun herrscht Krieg. Und nach der grausamen Attacke der Hamas im vergangenen Oktober stehen die meisten Israelis doch hinter der Politik von Netanjahu. «Die Kritik bietet ihm auch die Gelegenheit, sich bei einigen als Hardliner im Dienste seines Landes zu präsentieren und damit zu punkten.»