Die USA wollen Hilfsgüter für Gaza übers Meer liefern. Damit versuche US-Präsident Joe Biden die Befreiung aus einer Zwickmühle, sagt der USA-Experte David Sirakov.
SRF News: Wieso bauen die USA unter grossem Aufwand einen Hafen vor Gaza, wenn die Lieferung von Hilfe auf dem Landweg eigentlich viel einfacher wäre?
David Sirakov: Das zeigt das Dilemma der Biden-Administration: jenes zwischen einer pro-israelischen Politik und einem israelischen Premier Benjamin Netanjahu, der sich etwas problematisch und renitent gebärdet. Und: Die USA sind im Wahlkampf – deshalb wirken dort zusätzliche, spezielle innenpolitische Probleme.
Warum können die USA als grösste Unterstützer Israels nicht mehr Druck machen, damit Israel mehr Hilfe für die Menschen in Gaza per Land zulässt?
Der Einfluss der USA auf die politischen und militärischen Entscheide Israels ist sehr begrenzt, und die Frustration in Washington angesichts Netanjahus Verhalten schon recht gross.
Biden fehlen die finanziellen Mittel, um Druck auf Netanjahu aufbauen zu können.
Die grosse innenpolitische Polarisierung in den USA bringt zudem das Problem mit sich, dass nicht mit einer Stimme gesprochen werden kann. Es fehlen auch finanzielle Mittel, mit denen Biden Druck auf Netanjahu aufbauen könnte.
Biden steht von Kreisen seiner eigenen demokratischen Partei unter Druck. Will er mit dem Hafenprojekt vor Gaza vor allem diese pro-palästinensischen, linken Demokraten besänftigen?
Das ist wohl seine Absicht. Biden muss einen Mittelweg finden: Bei Netanjahu beisst er auf Granit, wenn er mehr Hilfe über den Landweg fordert, gleichzeitig muss er seine wichtige, linke Wählerschaft bei der Stange halten, weil er sonst seine Wiederwahl aufs Spiel setzt. Hinzu kommt, dass Biden der ausgesprochen pro-israelischen Haltung der Republikaner etwas entgegensetzen muss.
Wie kommt Biden wieder aus der Zwickmühle heraus?
Er versucht es mit diesem Zwischenweg, zu dem die Hilfslieferungen übers Meer gehören. Laut den Umfragen in den USA ist die Unterstützung Israels zwar schon ein wichtiger Aspekt – doch der Gaza-Krieg ist an der öffentlichen Meinung nicht spurlos vorbeigegangen.
Auch Barack Obama oder Bill Clinton befanden sich bezüglich Israels in einem ähnlichen Dilemma wie jetzt Biden.
Biden muss also beide Seiten bedienen – eine sehr schwierige Situation. Im Übrigen befanden sich bezüglich Israels schon andere demokratische Präsidenten wie Barack Obama oder Bill Clinton in einem ähnlichen Dilemma wie jetzt Biden.
Hat Biden, was den Nahen Osten angeht, sein Versprechen, dass die USA unter ihm wieder ein aussenpolitisch verlässlicher Partner seien, gehalten?
In der Nahost-Politik nur bedingt. Sein Vorgänger Donald Trump hatte eine sehr pro-israelische Politik vertreten, sein Schwiegersohn Jared Kushner war quasi sein Nahost-Beauftragter. Er startete einige Initiativen in Nahost – und auch wenn diese wenig erfolgreich waren, führte das dazu, dass sich unter den Republikanern eine starke, uneingeschränkt pro-israelische Basis bildete.
Trump hatte nicht mehr Einfluss auf Netanjahu als jetzt Biden.
Das bedeutet aber nicht, dass Trump damit mehr Einfluss auf die israelische Regierung unter Netanjahu gehabt hätte – das ist ein Trugschluss. Biden hat wegen der Polarisierung zwischen Demokraten und Republikanern also innenpolitisch gar nicht so viel Spielraum, wie er bräuchte, um genügend Druck auf Israel ausüben zu können für einen effektiven Waffenstillstand.
Das Gespräch führte Raphaël Günther.