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Schweizer Botschafter in Kiew «Die nächtlichen Bomben machen müde»

Der Schweizer Botschafter in der Ukraine, Félix Baumann, spricht erstmals über die Gefahren in Kiew, die möglichen Folgen einer erneuten Präsidentschaft Trumps und die Einschränkungen beim Schutzstatus S.

Félix Baumann

Schweizer Botschafter in der Ukraine

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Seit dem Sommer 2023 ist Félix Baumann der Schweizer Botschafter in der Ukraine. Der gebürtige Zürcher hat damit einen der heikelsten Diplomatenjobs der Schweiz.

SRF News: Die Russen greifen Kiew praktisch jede Nacht an. Wie halten Sie das aus?

Félix Baumann: Wir erleben regelmässig Luftalarm, in den letzten zwei Monaten praktisch täglich, manchmal sogar mehrmals am Tag. Das bedeutet, dass wir nachts oft in den Luftschutzkeller müssen. Das grösste Problem ist für mich momentan die Müdigkeit. Die nächtlichen Bomben machen müde, weil immer wieder der Schlaf unterbrochen wird.

Sie reisen als Botschafter durch die Ukraine. Wie sicher fühlen Sie sich in einer Krisenzone oder an der Front?

Wir passen uns der Situation laufend an. Die Lage verändert sich ständig. Es gibt Regionen, die für eine Zeit nicht besucht werden können, und andere, die wieder zugänglich sind. Manchmal verkürzen wir unsere Aufenthalte an bestimmten Orten oder verlegen Treffen in Bunker im Untergrund.

Dennoch ist es wichtig, dass ich als Botschafter durch das Land reise, die Solidarität der Schweiz zeige und mit den Menschen spreche.

Gibt es eine weit verbreitete Kriegsmüdigkeit?

Ja, definitiv. Unsere Botschaftsangestellten leiden unter der Müdigkeit und den ständigen Stromausfällen. Für die gesamte Bevölkerung kommt die Unsicherheit hinzu – nicht nur, wie der Tag verlaufen wird, sondern auch die Ungewissheit über die Zukunft des Landes. Viele sind erschöpft.

Nahezu jeder kennt jemanden, der mobilisiert wurde, und viele haben Angehörige oder Freunde im Krieg verloren.

Zudem ist fast niemand nicht vom Krieg betroffen. Nahezu jeder kennt jemanden, der mobilisiert wurde, und viele haben Angehörige oder Freunde im Krieg verloren. Das merkt man den Menschen an.

Zur Rolle der Schweiz im Ukraine-Krieg: Das Parlament verschärft den Schutzstatus S. Neu sollen nur noch Flüchtlinge Schutz bekommen, die aus umkämpften oder besetzten Gebieten kommen. Ist eine Differenzierung beim Schutzstatus sinnvoll?

Es liegt nicht an mir, die Entscheidungen des Parlaments zu kommentieren. Ich kann jedoch sagen, dass die Lage in der Ukraine sehr unterschiedlich ist. Die Front befindet sich im Osten und Nordosten, doch es gibt auch regelmässig Angriffe auf das gesamte Land.

Der Ausweis S für Flüchtlinge mit dem Schutzstatus S
Legende: Der Ausweis S für Flüchtlinge mit dem Schutzstatus S soll nur noch an Menschen aus umkämpften Gebieten gehen. Keystone/MICHAEL BUHOLZER

In den letzten zwei Wochen haben zahlreiche Raketen den Westen getroffen. Die Auswirkungen des Krieges sind überall spürbar.

Donald Trump hat angekündigt, dass er die Hilfe der USA für die Ukraine kürzen will. Wie kommt das in der Ukraine an?

Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten markiert zweifellos eine Zäsur. Welche Auswirkungen das haben wird, bleibt abzuwarten. Was ich sagen kann, ist, dass die ukrainischen Behörden bereits aktiv Kontakt mit verschiedenen Akteuren der zukünftigen US-Administration aufnehmen, um die Situation zu erörtern.

Es gibt immer mehr Diskussionen über Verhandlungen zur Beendigung des Krieges. Sind die Voraussetzungen für solche Gespräche mit Russland überhaupt gegeben?

Es stimmt, dass sich der Diskurs der ukrainischen Behörden in den letzten Wochen teilweise verändert hat.

Verhandlungen könnten unter bestimmten Bedingungen denkbar sein, auch wenn Gebiete militärisch besetzt bleiben.

Bis vor kurzem wurde kategorisch ausgeschlossen, dass ein Waffenstillstand in Kraft treten könnte, solange Russland ukrainisches Territorium besetzt. Diese Position hat sich leicht verschoben. Verhandlungen könnten unter bestimmten Bedingungen denkbar sein, auch wenn Gebiete militärisch besetzt bleiben.

Wie stehen Sie dazu?

Ich denke, es ist momentan zu früh für Spekulationen. Der Krieg wird weiterhin mit grosser Härte an der Front geführt. Ein Ende ist derzeit nicht absehbar.

Das Gespräch führte David Karasek.

SRF 4 News, 09.12.2024; 13:30 Uhr ; 

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