Darum geht es: In Polen debattiert das Parlament über eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Die derzeitige Gesetzgebung ist eine der strengsten in der EU. Ministerpräsident Donald Tusk hatte im Wahlkampf versprochen, Frauenrechte zu stärken und den Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch zu erleichtern. Doch in den mittlerweile knapp fünf Monaten, in den Tusk das Land regiert, ist dieses zentrale Projekt nicht richtig vorangekommen.
Das Problem für Tusk: Unter den drei politischen Gruppierungen, aus denen sich Tusks Mitte-Links-Regierungskoalition zusammensetzt, herrscht Uneinigkeit über das Thema Abtreibung – deshalb liegen mehrere Gesetzentwürfe vor. Der Entwurf von Tusks liberalkonservativer Partei Bürgerkoalition sieht die Legalisierung von Abbrüchen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche vor – eine Fristenlösung wie etwa in der Schweiz. Das Linksbündnis Lewica fordert dasselbe in einer eigenen Novelle. Der christlich-konservative Dritte Weg seinerseits will Schwangerschaftsabbrüche nur nach einem Verbrechen oder bei Gefahr für Schwangere und Fötus erlauben.
Liberal-links-konservative Regierung: Bei der Abtreibungsfrage treten die unterschiedlichen Weltanschauungen innerhalb der polnischen Regierung ungeschminkt an den Tag. «Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass die Regierung an der Frage zerbrechen wird», sagt SRF-Osteuropakorrespondent Roman Fillinger. Schliesslich wolle keine der aktuellen Regierungsparteien, dass die nationalkonservative PiS-Partei die Macht wieder übernimmt. Und: Zu einer raschen Lockerung der Abtreibungsgesetzgebung komme es in Polen wohl auch darum nicht, weil Präsident Andrzej Duda bereits angekündigt hat, ein solches Gesetz nicht unterzeichnen zu wollen.
Referendum möglich: Der polnische Parlamentspräsident möchte die Bürgerinnen und Bürger in einem Referendum über das Abtreibungsrecht abstimmen lassen. Er hofft, durch eine Zustimmung des Volkes den Druck auf Duda zu erhöhen, damit dieser von einem Veto absieht. Doch Frauenrechtlerinnen befürchten, dass die Debatte um Jahre zurückgeworfen werden könnte. Dies, wenn die Kirche, rechte Parteien und Pro-Life-Organisationen versuchten, die gesellschaftliche Stimmung zu drehen.
Frühere Regelungen: Bis 2020 waren Abtreibungen in Polen legal bei Vergewaltigungen, wenn die Gesundheit der werdenden Mutter in Gefahr war oder der Fötus Missbildungen aufwies. Dann verschärfte das Verfassungsgericht unter der damaligen nationalkonservativen PiS-Regierung das Abtreibungsrecht noch mehr. Seitdem ist ein Schwangerschaftsabbruch nur nach einer Vergewaltigung oder Inzest erlaubt – oder wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Weist das ungeborene Kind schwere Fehlbildungen auf, dürfen Frauen keinen Abbruch vornehmen.
Die Folgen des Verbots: In den vergangenen Jahren kam es in Polen zu mehreren Fällen, in denen schwangere Frauen während der Behandlung im Spital starben. Dies, weil die Ärzte trotz Komplikationen untätig blieben. So starb vor knapp einem Jahr eine 33-jährige Frau im Spital, die in der 20. Schwangerschaftswoche Fruchtwasser verlor. Die Ärzte unternahmen nichts, wenige Tage später war die Frau tot. Der Fall sorgte für landesweite Proteste tausender Polinnen und Polen, die ein liberaleres Abtreibungsgesetz verlangten.