In den letzten Wochen haben wieder viele Menschen von Afrika her versucht, das Mittelmeer zu überqueren. Oft machen sie sich in maroden Booten auf den Weg und werden dann von einer Hilfsorganisation, einem Handelsschiff oder von einem Fischerboot gerettet und nach Europa gebracht. Allein in Italien sind in diesem Jahr schon fast 40'000 Migrantinnen und Migranten angekommen – im letzten Jahr waren es zu diesem Zeitpunkt gut 10'000 weniger. Wie sich dieser gestiegene Migrationsdruck auf dem Meer selbst anfühlt, erläutert Mattea Weihe, Sprecherin der Nichtregierungsorganisation Sea-Watch, im Interview.
SRF News: Letzte Woche hat Sea-Watch an einem Tag mehr als 400 Menschen gerettet. Sind das aussergewöhnlich viele Gerettete?
Mattea Weihe: Das sind grundsätzlich viele Personen, vor allem, wenn man darüber nachdenkt, dass wir sie mit 22 Besatzungsmitgliedern versorgen. Man muss schon sagen, dass die Ereignisse der letzten Tage vor allem gezeigt haben, wie viele Boote doch unterwegs sind. Nicht nur wir haben eine grosse Anzahl an Menschen retten können, auch andere NGOs, aber eben auch die italienische Küstenwache und Handelsschiffe. Und viele Menschen haben es auch auf eigene Faust nach Italien geschafft.
22 Personen managen so ein Schiff, organisieren alles, was für so eine Rettung notwendig ist. Wie sind denn die Aufgaben verteilt?
Wir haben einerseits nautisches Personal, selbstverständlich brauchen wir auch einen Kapitän oder eine Kapitänin und Offizierin. Wir haben auch technisches Personal, das sind Schiffsingenieure, Mechaniker. Wir haben aber auch noch medizinisches Personal. Das heisst, wir fahren immer mit zwei Ärzten und zwei Sanitätern raus ins Mittelmeer. Und wir haben auch Personen, die spezifisch Kenntnisse darin haben, mit geflüchteten Menschen umzugehen, die ganz genau darauf schauen können, mit welchen Herausforderungen diese Menschen dann auch konfrontiert sind.
Bei der Besatzung macht sich eine extreme Müdigkeit und Erschöpfung breit – viele sind jetzt tatsächlich an ihren Grenzen.
Wenn wir dann 450 Personen an Bord haben, dann ist es natürlich so, dass die Besatzung ganz stark an ihre Grenzen gehen muss. Wir waren teilweise schon über eine Woche, fast zwei Wochen, mit Menschen an Bord unterwegs. Derzeit ist es so, dass sich die Personen sechs, sieben Tage mit den Geretteten an Bord befinden. Bei der Besatzung macht sich eine extreme Müdigkeit und Erschöpfung breit – viele von denen sind jetzt tatsächlich auch an ihren Grenzen.
Wie lange kann man das machen?
In der Regel sind die Besatzungsmitglieder für eine Rotation an Bord, das sind etwa sechs Wochen. Dann wechseln wir sie aus. Einfach, weil der Job wahnsinnig anstrengend und herausfordernd ist.
In welchem Zustand sind die Migranten oder Flüchtlinge, wenn Sie sie auffinden?
Das kommt ganz darauf, in der Regel erleben wir Menschen, die vielleicht schon Tage auf See waren. Das heisst, sie sind stark erschöpft oder dehydriert. Ein grosses Problem, das uns immer wieder begegnet, ist, dass sich in den Schlauchbooten, in denen die Menschen versuchen zu fliehen, eine ätzende Mischung aus Urin, Fäkalien, Salzwasser und Benzin sammelt. Das führt dazu, dass die Menschen an ihrer Haut ganz starke Verätzungen bekommen. Oftmals ist unser medizinisches Personal stark damit beschäftigt, diese Verletzungen und Verbrennungen zu versorgen.
Die Menschen an Bord bekommen an ihrer Haut ganz starke Verätzungen.
Da sind wir jetzt an einem Punkt angekommen, dass wir Menschen vorzeitig evakuieren müssen, weil die Verbrennungen so stark sind. Sie werden entweder mit einem Rettungshubschrauber ausgeflogen oder aber von einem Boot der italienischen Küstenwache abgeholt.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.