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Seetang – eine Pflanze mit viel Potenzial
Aus 10 vor 10 vom 17.05.2024.
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Seetang in Schottland Vom Nahrungsmittel bis zum Biodünger: die Wunderpflanze Alge

Algen gibt es in unzähligen Grössen, Formen und Farben. Ebenso vielfältig sind sie nutzbar: als Nahrungsmittel, in Kosmetik, Pharma oder der Landwirtschaft. Algen sind gut für die eigene Gesundheit – und fürs Klima.

Ein wahrer Schatz liegt zu seinen Füssen: Gourmetkoch Calum Munro geht mit gesenktem Blick langsam über einen grünen Algenteppich. Es ist Ebbe. Konzentriert hält der Koch in der Bucht von Portree auf der schottischen Insel Skye Ausschau nach schmackhaften Algen. Er trägt einen geflochtenen Korb in der einen Hand, bückt sich regelmässig kurz und greift mit der anderen Hand zu.

Was ist Seetang und ist er essbar?

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Legende: Die Küste am Coral Beach auf der Isle of Skye ist überzogen mit Grün- und Braunalgen. IMAGO / H. Tschanz-Hofmann

Seetang ist eine Grossfamilie von Algen, die Tausende von Arten umfasst. Sie wachsen vorwiegend an den Meeresküsten und können bis zu 50 Meter lang werden. In Form und Farbe ist Seetang sehr vielfältig, umfasst Rot-, Grün- und Braunalgen.

Seetang ist eine der am schnellsten wachsenden Pflanzen unseres Planeten, obwohl sie nicht viel mehr braucht als Licht, Meerwasser und die Nährstoffe, die darin schwimmen. Sie gedeihen ohne Humus, Frischwasser oder Dünger. Unter idealen Bedingungen wachsen beispielsweise Kelp-Algen bis zu 50 cm pro Tag.

Seetang ist reich an Proteinen, Vitaminen, Mineral- und Ballaststoffen und ist kalorienarm. Algen gelten für den Menschen als gesund, sofern sie mit Mass genossen werden. Wegen des hohen Jodgehalts empfiehlt beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Ernährung täglich nicht mehr als ein Gramm Algen zu sich zu nehmen.

«Diese hier gehören zu den Besten – Meeres-Spaghetti», hält Munro erfreut mehrere, rund 20 cm lange Algen in die Höhe, die aussehen wie überdimensionierter Schnittlauch. «Meeres-Spaghetti sind sehr geschmackvoll. Man kann sie zubereiten wie Spaghetti, nur kurz aufkochen – damit sie eine angenehme Konsistenz bekommen.»

Wenn ich sehe, wie populär japanische Algen-Speisen sind, sehe ich keinen Grund, warum wir das nicht auch schaffen sollten.
Autor: Calum Munro Gourmetkoch

Gourmetkoch Calum Munro betreibt im Hauptort von Skye seit gut zehn Jahren ein eigenes Restaurant mit rund zehn Tischen. «Scorrybreac» wurde schon wenige Monate nach Eröffnung in der Gourmet-Bibel, dem Guide Michelin, erstmals erwähnt. Munros Gäste lieben die wechselnden Algen-Gerichte, die er auf der Speisekarte hat.

Mann hält Seetang in den Händen an der Küste.
Legende: Calum Munro präsentiert die «Meeres-Spaghetti». SRF / Frederick Rotkopf

«In der Vergangenheit waren Algen ein zentraler Bestandteil der schottischen Küche und wir können diese Tradition weiterentwickeln», ist der 39-Jährige überzeugt. «Japan macht es vor: Wenn ich sehe, wie populär japanische Algen-Speisen sind, sehe ich keinen Grund, warum wir das nicht auch schaffen sollten.»

Algen essen – dem Klima zuliebe

Shona Cameron stimmt Calum Munro zu. Sie begleitet den Koch regelmässig beim Algensammeln – meist mit Schulklassen oder Gruppen von Erwachsenen, die die Wunderwelt der Algen kennenlernen wollen. Shona Cameron ist Gründerin und Leiterin von Climavore, einer Agentur, die klimafreundliche Ernährungsformen erforschen und bekanntmachen will.

Das Klima dankt es uns, wenn wir mehr Algen und weniger Fleisch essen.
Autor: Shona Cameron Gründerin und Leiterin von Climavore

«Algen und Muscheln waren Teil unserer Kultur», sagt Shona Cameron. Sie lebt seit rund zehn Jahren auf der Insel Skye. Zuvor machte sie in Schottlands Hauptstadt Edinburgh einen Master in Kunstgeschichte und -kuratierung. «Während Jahrhunderten haben Menschen Algen gegessen. Das ist etwas in Vergessenheit geraten. Nun wollen wir diese Tradition wieder aufleben lassen», so Cameron.

Frau mit Brille auf dem Kopf vor einem felsigen Strand.
Legende: Shona Cameron will die Algen als klimafreundliche Proteinquelle anstelle von Fleisch beliebt machen. SRF / Frederick Rotkopf

Algen enthalten viele Proteine, Vitamine und Mineralien – was sie zu wertvollen Nahrungsmitteln macht. «Das Klima dankt es uns, wenn wir mehr Algen und weniger Fleisch essen», sagt Cameron. Sie komme nicht aus der Landwirtschaft, schiebt sie nach. Statt Nutztiere zu züchten, könnten schottische Bauern Algenkulturen in Ufernähe anlegen, schlägt die Leiterin von Climavore vor. «Es ist faszinierend, wie viele Algenarten es gibt. Da lässt sich etwas daraus entwickeln.»

Das Potenzial der Algen

Die kommerzielle Seetang-Produktion hat sich seit der Jahrtausendwende weltweit verdreifacht – von 118’000 Tonnen auf 358’000 Tonnen zwischen 2000 und 2019. Führend sind dabei China, Indonesien, die Philippinen oder Japan. Die britische Algenproduktion wächst zwar auch, fällt aber im internationalen Rahmen kaum ins Gewicht. Britische Firmen produzieren lediglich fünf Prozent der im eigenen Land nachgefragten Algen. 95 Prozent der verwendeten Algenprodukte werden aus Asien importiert.

Gegenwärtig sind 74 Firmen in Schottland und England im Algen-Geschäft tätig, hat Subash Yadav Ahir während seines Masterstudiums am schottischen Institut für Wasser­kultur­wissen­schaften in Oban herausgefunden. Die Zahl der Unternehmen habe sich seit 2016 mehr als verdoppelt.

Elon Musks Herz schlägt für Algen

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Legende: Elon Musk spricht an einer Konferenz eines Wirtschafts-Thinktanks (Milken Conference 2024) in Beverly Hills in Kalifornien. (Bild vom 6. Mai 2024) REUTERS/David Swanson

Der Preis ist heiss: 100 Millionen Dollar will die Elon-Musk-Stiftung im kommenden Jahr an Projektgruppen auszahlen, die CO₂ aus der Atmosphäre holen und einlagern. Auf die Shortlist für den X-Prize hat es auch ein Algen-Projekt geschafft.

Die amerikanische Climate Foundation setzt auf schnell wachsende Algen. Und sie betreibt vor der philippinischen Küste bereits eine Versuchsanlage. Stiftungsgründer Brian von Herzen beschreibt seine CO₂-Einlagerungsmethode gegenüber der britischen Tageszeitung «The Guardian» so: «Unsere Anlage sieht von oben aus wie eine riesige, in Stücke geschnittene Pizza von 40 Metern Durchmesser.» In einer kreisrunden Metallstruktur sind Seile gespannt, die den gezüchteten Algen Halt geben. Durch die Photosynthese lagern sie viel CO₂ ein.

Doch um das CO₂ der Atmosphäre langfristig zu entziehen, müsste die Climate Foundation die ausgewachsenen Algen auf den Meeresboden absinken und dort verrotten lassen. Doch auf diese Weise lässt sich kein Geld verdienen. 2010 hat die Climate Foundation geprüft, Klima-Zertifikate für das gebundene CO₂ zu verkaufen – und kam damals zum Schluss, dass dies nicht rentiere.

27 britische Unternehmen ernten Seetang, allerdings mehrheitlich wildwachsende Pflanzen. Nur eine Minderheit der Produzenten baue den Seetang in Kulturen an – «was längerfristig nicht nachhaltig sei», schreibt der Wasser­kultur­wissen­schaftler.

Um natürlich entstandene Seetang-Zonen zu schützen, ist die mechanisierte Ernte von wildwachsenden Kelp-Algen in Schottland 2018 verboten worden. Weiterhin erlaubt ist eine nachhaltige Ernte von Knotentang und anderen Seetang-Arten, die bei Ebbe vom Meer freigelegt werden.

Prinz William fördert Algenverpackungen

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Legende: Prinz William spricht während der Earth-Shot-Prize-Veranstaltung 2020 in Dubai. IMAGO / ABACAPRESS

Algen sind die Bäume der Meere: Nach den gross angelegten Baum-Pflanz-Kampagnen, um auf natürliche Weise möglichst schnell möglichst viel CO₂ aus der Atmosphäre zu binden, sind nun die Algen als Klimaretterinnen hoch im Kurs.

Ein royales Preisgeld für ihr Algen-Projekt bekommen, hat das in London ansässige Start-up Notpla. Der Firmenname Notpla steht für «Nicht-Plastik» und bringt das Credo der Jungunternehmer auf den Punkt: Sie entwickeln Verpackungen, die kein Plastik enthalten und ganz aus Algen gefertigt sind. 2022 haben sie vom britischen Thronfolger, Prinz William, den mit einer Million Pfund Sterling dotierten Earth-Shot-Prize bekommen. Das hat die Firma beflügelt, wie sie auf ihrer Webseite schreibt: «2023 haben wir 4.4 Millionen Einweg-Plastik-Verpackungen mit unseren Produkten ersetzen können. So wurden 8.5 Tonnen Plastikabfall vermieden – und damit auch gleich der Ausstoss von 250 Tonnen CO₂.»

Laut Yadav wachsen vor der Küste des Vereinigten Königreichs rund 600 verschiedene Seetang-Arten. Die über weite Strecken dünnbesiedelte Küste eigne sich für die kommerzielle Algen-Nutzung. Die Braunalge Knotentang (Ascophyllum nodosum) sei die am meisten genutzte Art, noch vor den Kelp-Algen oder rotem Seetang.

Ein Drittel des genutzten Seetangs wird Speisen und Getränken beigemischt, schreibt Subash Yadav Ahir im Überblicksartikel auf der Wissensplattform, The Fish Site, der Branchenvereinigung der Wasserkulturindustrie. 19 Prozent der Algen werden in Kosmetikprodukten verwendet, 13 Prozent werden zu Nahrungs­ergänzungs­stoffen und der Rest wird an Tiere verfüttert oder zu Dünger oder biologisch abbaubaren Verpackungen verarbeitet.

Aus Algen wird Biodünger

Das grosse Potenzial von Algen erkannt hat auch eine Gruppe von Algenzüchtern, die vor vier Jahren die Firma Kelpcrofter gegründet haben. Vor der Insel Skye kultivieren sie an langen Seilen Kelp-Algen. Diese Braunalgen wachsen sehr schnell und können bis zu drei Meter lang werden.

Zwei Personen auf einem Fischerboot ernten Seetang.
Legende: An langen Seilen werden die Kelp-Algen im offenen Meer kultiviert. Sean McLaughlin

«Ich liebe meine Arbeit auf dem Meer», sagt Co-Gründerin Kyla Orr. Die Kelp-Algen eigneten sich für viele Anwendungen – als Nahrungszusatz für Mensch und Tier, für Kosmetik, Pharma oder Biodünger. «Am vielversprechendsten ist die Nutzung als Biodünger», sagt Kyla Orr nach vier Jahren im Geschäft. «Biodünger ist ein Riesen-Markt, und da werden auch gute Preise für den Rohstoff bezahlt.»

Frau im gestreiften T-Shirt mit gelben Hosenträgern in einem Lager.
Legende: Kyla Orr ist Mitgründerin der Algenzuchtfirma. SRF / Frederick Rotkopf

Noch befinde sich Kelpcrofter in der Anfangsphase, sagt Orr offen: «Wir könnten drei bis vier Mal so viel produzieren wie heute. Doch uns fehlen die Verarbeitungskapazitäten und eine regelmässige, gesicherte Abnahme.» Sie seien nun intensiv daran, Geschäftsbeziehungen aufzubauen.

Algen statt Plastik

Eine Geschäftspartnerin von Kyla Orr ist Alison Baker. Auch Baker ist erst seit kurzem im Algen-Geschäft. Sie betreibt seit zweieinhalb Jahren eine Algen-Verarbeitungsanlage an der Brücke zur Insel Skye. Sie wäscht, schreddert und trocknet Algen – und verkauft diese an Firmen weiter, die daraus meist Tierfutter oder Biodünger machen.

«Meine Vision ist es, eine naturnahe und nachhaltige Industrie aufzubauen», sagt Alison Baker. Ende 2021 hat die Unternehmerin zu diesem Zweck die Firma Eco-Cascade mitgegründet. Zuvor hatte Baker ein plastikfreies Modelabel aufgebaut und sich gegen die Plastikverschmutzung von Flüssen und Küstengebieten stark gemacht.

Zwei Frauen arbeiten an einer Maschine.
Legende: Alison Baker (links) betreibt eine Algen-Verarbeitungsanlage. SRF / Frederick Rotkopf

«Algen, wie beispielsweise Seetang, sind Wunderpflanzen – mit idealen Eigenschaften für Kosmetik- oder Pharmaprodukten und als Nahrungszusatz.» Aus Algen lasse sich viel gewinnen, wie ihre Tests und Forschungen zeigten, die sie zusammen mit schottischen Universitäten durchführt. «Wir testen auch die Verarbeitung zu Bio-Plastik – wollen herausfinden, ob sich die natürlichen Polymere der Kelp-Alge als kompostierbarer Plastikersatz eignen», sagt Alison Baker.

Mann bearbeitet Seetang in einer Fabrik.
Legende: Die Algen werden aktuell noch von Hand gewaschen und getrocknet. SRF / Frederick Rotkopf

Noch wird bei Eco-Cascade viel von Hand gemacht. Das soll sich schnellstmöglich ändern. Sobald Grossabnehmer die Vorzüge des natürlichen Rohstoffs schätzen lernen, will Baker ihre Wasch- und Trocknungsanlage vergrössern und automatisieren. «Bei Grossunternehmen Interesse zu wecken für die Algen, ist harte Arbeit. Doch wir glauben fest daran, dass Algen eine grosse Zukunft haben.»

10vor10, 17.5.2024, 21:50 Uhr

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