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Sicherheitsexpertin im Dialog «Die EU braucht einen europäischen Sicherheitsrat»

Europa will aufrüsten – und zwar massiv und sofort. Die Expertin für europäische Sicherheitspolitik Ronja Kempin sagt im Interview, dass mehr Geld allein nicht ausreicht.

Ronja Kempin

Expertin für europäische Sicherheitspolitik (SWP)

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Ronja Kempin ist Expertin für europäische Sicherheitspolitik. Schon seit 2003 ist sie bei der Stiftung Wissenschaft und Politik tätig.

SRF News: Was wird jetzt aus dem Friedensprojekt Europa? Tatsächlich eine Verteidigungsunion?

Ronja Kempin: Was wir in der Tat sehen, ist, dass das Bewusstsein wächst. Und dass diese Kleinstaaterei – vielleicht auch Kleinkrämerei, wenn man es etwas kritischer ausdrücken will – nun doch ein Ende finden muss. Die Europäer wenden viel Geld für sicherheits- und verteidigungspolitische Belange auf. Um Europas Verteidigung zu stärken, müssen die Länder ihre Verteidigungspolitik gemeinsam gestalten.

Oft werden nur kleine Stückzahlen bei nationalen Rüstungsindustrien in Auftrag gegeben. Das steigert die Kosten erheblich.

Reicht eine volle Kasse aus?

Mehr Geld allein reicht nicht. In der Vergangenheit haben wir gesehen, dass sich die Europäer immer noch schwer damit tun, gemeinsam Rüstung zu beschaffen. In der Europäischen Union mit ihren 27 Mitgliedsstaaten werden über 80 Prozent der militärischen Güter – Waffen, Munition, Ausrüstung – national beschafft. Oft werden nur kleine Stückzahlen bei nationalen Rüstungsindustrien in Auftrag gegeben, was die Kosten erheblich steigert. Diese Art der Verteidigungsbeschaffung muss ein Ende haben. Europa muss parallel handeln: Einerseits sollten bereits verfügbare Rüstungsgüter in anderen Ländern eingekauft, andererseits die Produktion in Europa so schnell wie möglich angekurbelt werden.

Ursula von der Leyen, António Costa und Kaja Kallas.
Legende: Massiv aufrüsten, und zwar sofort – das war Konsens am EU-Sondergipfel von letzter Woche. Im Bild: EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsident António Costa und die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas. EPA/OLIVIER MATTHYS

Wie können die EU-Staaten besser militärisch kooperieren?

Russland wird auf verschiedenen Ebenen versuchen, möglicherweise die Europäer anzugreifen. Für diesen Fall brauchen wir Panzer und viel Raketenabwehr. Idealerweise würde man diese gemeinsam beschaffen und auch die Soldatinnen und Soldaten gemeinsam ausbilden. Man muss sich von nationalen Standards verabschieden. Ein deutscher Pilot kann nicht automatisch einen französischen, rumänischen oder belgischen Kampfjet fliegen. Hier müsste sehr schnell Abhilfe geschaffen werden.

Die Situation ist zu ernst, als dass sich Europa ein Scheitern dieser Bemühungen zum jetzigen Zeitpunkt leisten kann.

Was sind weitere konkrete Vorschläge?

Die EU sollte es so machen wie im Kalten Krieg: Jedes Land hätte sozusagen einen bestimmten Frontabschnitt, für den es Verantwortung trägt. An der Spitze der EU könnte möglicherweise ein europäischer Sicherheitsrat stehen, der die Einsätze koordiniert.

Um uns herum scheint die alte Welt mit all ihren Gewissheiten zusammenzubrechen. Wie erleben Sie diese geopolitische Veränderung?

Das ist ein Schock – auch für mich. Ein Moment, wie ich ihn in meiner beruflichen Laufbahn noch nie erlebt habe. Dass das jetzt mit einer solchen Schnelligkeit und Brutalität geschieht, dass sich die Amerikaner aus Europa zurückziehen, während ein Krieg in Europa tobt – das ist schon sehr beunruhigend. Ich glaube, man darf jetzt einfach nicht scheitern. Die Situation ist zu ernst, als dass sich Europa ein Scheitern dieser Bemühungen zum jetzigen Zeitpunkt leisten kann. Denn sonst wird es nur einen geopolitischen Gewinner geben – und der sitzt bekanntermassen im Kreml in Russland.

Das Gespräch führte David Karasek.

Tagesgespräch, 07.03.2025, 13:00 Uhr ; 

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