Mit Donald Trump wird immer deutlicher: Europa muss mehr tun für seine militärische Verteidigung. Sehr viel mehr. Jetzt treffen sich die 27 Staats- und Regierungschefs der EU zu einem Sondergipfel. Auch der ukrainische Präsident Wolodmir Selenski reist an. EU-Korrespondent Charles Liebherr, erklärt, worum es bei dem Treffen geht.
Was ist vom EU-Sondergipfel zu erwarten?
Ein klares Bekenntnis zur massiven und schnellen Aufrüstung in Europa. Diese soll auch viel stärker koordiniert und abgesprochen werden als bisher. Das wäre eine signifikante Neu-Ausrichtung der EU, denn bislang waren Verteidigungsfragen primär eine nationale Angelegenheit. Es geht um nichts weniger als die Frage, ob aus dem Friedensprojekt EU jetzt eine Verteidigungsunion werden kann. Dabei geht diese Neu-Ausrichtung über die EU hinaus: Auch Norwegen, Island oder das Vereinigte Königreich werden miteinbezogen – und nach dem Brüsseler Sondergipfel umgehend über die Ergebnisse informiert.
Woher kommen die 800 Milliarden zum Aufrüsten?
Dafür werden Schulden gemacht. Einerseits sollen die EU-Mitgliedsländer ihre Rüstungsausgaben zumindest in den nächsten vier Jahren nahezu verdoppeln können, ohne dass dabei die Schuldenregeln verletzt werden. Ausserdem macht die EU neue Schulden und schafft damit einen Topf, aus dem die EU-Länder Geld zu tiefen Zinsen abrufen können. Das ist vor allem für jene rund 20 Länder attraktiv, die am Finanzmarkt für ihre eigenen Schulden mehr Zins bezahlen müssen als die EU. Allerdings heisst das alles auch: Das Geld muss irgendeinmal zurückbezahlt werden, was womöglich dereinst höhere Steuern bedeutet.
Wie geeint ist die Haltung der EU-Staaten?
Nicht alle EU-Staaten werden der von Russland überfallenen Ukraine eine bedingungslose Unterstützung zusichern. Vorbehalte gegen eine stärkere militärische Unterstützung kommen wie gehabt aus Ungarn oder aus der Slowakei. Doch auch unter den anderen EU-Ländern gibt es keinen Konsens über konkrete Waffenlieferungen an die Ukraine. Man kann aber davon ausgehen, dass einige EU-Staaten ihre diesbezüglichen Aktivitäten im kleinen Kreis koordinieren werden. Das war ja auch in den vergangenen drei Jahren so.
Was sagt Berlin zu Macrons Führungsanspruch?
In den letzten Jahren funktionierte die französisch-deutsche Allianz eher schlecht, doch es gibt Hoffnung, dass mit einem Bundeskanzler Friedrich Merz Bewegung in die Sache kommt: Berlin steht beim Geld nicht mehr auf die Bremse, Paris übernimmt mehr Verantwortung beim atomaren Schutzschirm für Europa. Und Grossbritannien sitzt als Nicht-EU-Mitglied wieder mit am Tisch. Es verschiebt sich also gerade Grundlegendes – im besten Fall geschieht dies zum Wohle ganz Europas. Dabei muss sich allerdings noch zeigen, ob die Rüstungsmaschinerie tatsächlich zum Laufen kommt. Denn das ist entscheidend.
Wie schnell kann das gehen?
Die grössten Herausforderungen liegen darin, wie schnell aufgerüstet werden und wie rasch man sich in den Details einigen kann. Derzeit fehlen in den EU-Ländern die Produktionskapazitäten, die benötigten Rüstungsgüter schnell herzustellen. Es fehlen Fachkräfte und teils Maschinen. Zudem gibt es in manchen Militärbereichen gar keine modernen, europäischen Waffensysteme. Das betrifft etwa die Luftverteidigung. Dieser Rückstand ist kurzfristig nicht aufzuholen und Europa bleibt wohl oder übel von den USA abhängig. Fakt ist: Man ist in Europa noch ein ganzes Stück weit von der gewünschten strategischen Souveränität entfernt.