- Die Schweiz unternimmt laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu wenig im Kampf gegen den Klimawandel.
- Der EMGR ist auf eine Beschwerde der Klimaseniorinnen gegen den Bund eingetreten.
- Das Gericht hat eine Verletzung der Menschenrechtskonvention festgestellt.
- Der Entscheid im französischen Strassburg dürfte weitreichende Auswirkungen haben.
Vor acht Jahren reichten die Schweizer Seniorinnen erstmals Klage beim Bund ein. Heute Dienstag hat nun der Gerichtshof in Strassburg ein historisches Urteil gefällt: Der mangelnde Klimaschutz der Schweiz habe die klagenden Seniorinnen in ihren Menschenrechten verletzt. Die Frauen seien in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben und in ihrem Recht auf ein faires Verfahren berührt worden.
Der EGMR ist zum Schluss gekommen, dass der Verein zur Beschwerde zugelassen ist, nicht aber die vier Einzelklägerinnen. Das Urteil könnte ein Präzedenzfall für weitere Klimaklagen sein.
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Gemäss dem EGMR erlaube der die gesamte Menschheit betreffende Klimawandel die Zulassung von Beschwerden von Organisationen, die im Bereich von Klimafragen aktiv seien. Ihr Ziel müsse sein, ihre Mitglieder vor den Folgen des Klimawandels zu schützen und im Sinne dieser zu handeln.
Das Nichteintreten auf die Beschwerde der Einzelklägerinnen erklärte die Grosse Kammer des EGMR damit, dass Einzelpersonen ihren sogenannten Opferstatus in Bezug auf die Untätigkeit eines Staates konkret aufzeigen müssen.
Der Gerichtshof hielt weiter fest, dass die Schweiz keine ausreichenden und überzeugenden Argumente dargelegt habe, warum sie die auf Beschwerde des Vereins Klimaseniorinnen nicht habe eintreten wollen.
«Sieg für alle Generationen»
In der Schweizer Politik wird das EGMR-Urteil sehr unterschiedlich aufgenommen. Rot-Grün sowie Umweltverbände begrüssen den Richterspruch, «lächerlich» heisst dagegen von der SVP.
Der Sieg der Klimaseniorinnen ist laut dem Umweltschutzverband WWF Schweiz ein Erfolg für alle Generationen. Es sei ein weitreichender Präzedenzfall, schrieb der Verband auf X. «Offizieller geht's kaum: Die Schweiz muss endlich handeln». Die Umweltorganisation Greenpeace, von der die Initiative für die Klage der rund 2000 Pensionärinnen des Vereins Klimaseniorinnen ausging, schrieb: «Das ist ein historischer Moment für diese Frauen und viele auf der Welt.»
Für GLP-Präsident Jürg Grossen ist die Rüge der Strassburger Richter an die Adresse der Schweiz keine Überraschung: «Wir wissen, dass wir nicht genug für das Klima machen.» Es sei aber richtig, dass das nun auch international festgestellt worden sei. Die Grünen wollen das Urteil an einer Medienkonferenz am Nachmittag kommentieren.
SVP-Nationalrat Mike Egger (SG) von der Umweltkommission des Nationalrats bezeichnete das EGMR-Urteil als «lächerlich». Es sei immer gefährlich, wenn Gerichte Politik machten. Die Schweiz mache gute Umweltpolitik und investiere jedes Jahr Milliarden von Franken.
Ob sich der Bundesrat zum Richterspruch äussern wird, bleibt derzeit offen.
Erste Klimaklage
Erstmals hat das EGMR die Frage behandelt, ob die Klimapolitik eines Staates Menschenrechte verletzt. Der jüngste Entscheid dürfte wohl weitreichende Folgen für Europa haben. Es könnte ein Rechtsweg aufgezeigt werden, wie Einzelpersonen die Klimapolitik der 46 Staaten des Europarats einklagen können. Das Interesse von Umweltaktivistinnen und -aktivisten an diesem Urteil ist entsprechend gross. Wie das Gericht urteilen würde, war laut Experten im Vorfeld offen.