In der Ukraine hat sich in den letzten Monaten ein blutiger Abnützungskrieg entfaltet. Beide Seiten ringen darum, wer mehr Menschen und Material an die Front schaffen kann, um den Gegner zu zermürben. Nun will Russland seine Söldnertruppen aufstocken. Gemäss Medienberichten werden dabei offenbar Frauen auch angeworben – für den Kampfeinsatz in der Ukraine.
Gehen Russland also die Männer an der Front aus? Die Todeszahlen seien tatsächlich hoch, sagt Margarete Klein, Russlandexpertin von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Mit offiziellen Zahlen lasse sich das zwar kaum verifizieren. Aber: «Laut Recherchen der unabhängigen russischen Internetportale Mediasona und Medusa sind ungefähr 50'000 Soldaten gestorben.» Dazu kommen Verwundete und Kriegsgefangene, deren Zahl ungleich höher sein dürfte.
«Stille» Mobilisierung statt Teilmobilmachung
Um diese personellen Lücken zu schliessen, könnte der Kreml eine weitere Teilmobilmachung anordnen. Das sei aber innenpolitisch sehr unpopulär, sagt Klein. Zumal im kommenden Jahr Präsidentschaftswahlen geplant sind. «Deswegen versucht man nun, ‹still› zu mobilisieren: Russland rekrutiert, wo es geht – und das seit Juli auch verstärkt bei Frauen.»
In den regulären russischen Streitkräften gibt es heute rund 40'000 Frauen, davon 4000 im Offiziersrang. Insgesamt machen sie etwa zehn Prozent des gesamten Armeepersonals aus. Angeworben werden Frauen von der Armee, um die Truppen zu unterstützen: so etwa im Sanitätsdienst, als Funkerinnen, in Feldküchen oder in der Verwaltung.
«Über private Militärfirmen, die dem Verteidigungsministerium nahestehen, sollen nun aber auch Frauen in kämpfenden Rollen angeworben werden», sagt die Russlandexpertin. Demnach sucht die Söldnereinheit «Redut» Scharfschützinnen oder Drohnenoperateurinnen. Laut dem unabhängigen Internetportal iStories wird den Soldatinnen ein Halbjahresvertrag mit einem Gehalt von umgerechnet rund 2100 Franken angeboten.
(Vergessene) Tradition russischer Kämpferinnen
Generell gebe es allerdings eine grosse Zurückhaltung in Russland, Kämpferinnen direkt an die Front zu schicken. «Das hat auch stark mit einem traditionellen Frauenbild zu tun: Frauen werden als schwache Wesen betrachtet, die ihre Rolle eher innerhalb der Familie ausfüllen sollen», sagt Klein.
Im Ersten Weltkrieg existierte zwar bereits ein Frauenbataillon in den Streitkräften der Kaiserlich Russischen Armee. Und in der späteren Sowjetunion gab es im Zweiten Weltkrieg die ersten Kampfpilotinnen. In der russischen Erinnerungskultur habe sich dies aber kaum manifestiert, so die deutsche Politologin.
Wie erfolgreich die russischen Rekrutierungsversuche für den Einsatz im Ukraine-Krieg sind, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. Gestützt auf Daten von 2020 ist für die Russlandexpertin aber klar: Das Motiv von Frauen, sich beim russischen Militär zu bewerben, ist in den meisten Fällen das Geld. «Sie machen das nicht aus ideologischen Gründen, um für ein ‹Grossrussland› kämpfen zu wollen.»
So biete die Armee vergleichsweise sichere Anstellungsbedingungen, gerade auch für Frauen aus abgelegenen und ärmeren Regionen wie Sibirien – genauso wie bei den Männern. Dazu kommt: Oft lassen sich Frauen auch als Köchinnen und Putzfrauen in den Kasernen engagieren, in denen ihre Männer stationiert sind.