Ein mutmasslich chinesischer Spionageballon sorgt derzeit in den USA für Irritation. Das US-Militär hat den Ballon über dem Norden des Landes gesichtet und sagt, man sei sicher, dass dieser aus China kommt. Man habe erwogen, den Ballon abzuschiessen, habe sich aber wegen der Gefahr herabfallender Trümmer dagegen entschieden.
Erich Schmidt-Eenboom ist deutscher Publizist und Friedensforscher mit dem Schwerpunkt Nachrichtendienst. Er vermutet, dass China damit ein Signal der atomaren Abschreckung an Washington senden will.
SRF News: Was wissen Sie über den mutmasslich chinesischen Spionageballon?
Erich Schmidt-Eenboom: Es handelt sich um eine aussergewöhnliche technische Ergänzung zur Satellitenaufklärung. Bei letzterer sind die Chinesen nicht so stark wie die westlichen Nachrichtendienste oder die russische Föderation.
Ich gehe davon aus, dass es sich um einen Photon-Radarsatelliten handelt. Bei guter Wetterlage kann er Fotos machen, der Radar wiederum dient dazu, Wolkendecken zu durchdringen. Interessant ist die Zielregion Montana, wo sich die Interkontinentalraketen nuklearer Art der Vereinigten Staaten befinden.
Das wäre wohl auch das Ziel, das China mit diesem Ballon ausspionieren möchte?
Ich gehe davon aus, dass dies eine Signalwirkung Richtung Washington haben soll. Denn der amerikanische Präsident Joe Biden hat erklärt, bei einem potenziellen Angriff Chinas auf Taiwan müsse China mit einer militärischen Antwort der Vereinigten Staaten rechnen. Peking geht möglicherweise davon aus, dass es sich um eine nukleare Antwort handeln würde. Dann lautet das Signal: Wir verfügen über eine gesicherte Zweitschlag-Kapazität und haben eure Nuklearanlagen im Visier.
Warum wird überhaupt ein Spionageballon losgeschickt? Man kann ja bereits über Satelliten sehr genau beobachten, was sich unten auf der Erde tut.
In der Satellitenaufklärung sind die Chinesen – wie gesagt – nicht so stark. Eine Ballonaufklärung, auch aus grosser Höhe, liefert weitaus bessere Bilder. Gerade durch die Radaraufklärung kann man die Silos der Minuteman-III-Raketen optisch sehr gut erfassen.
Das ist eine grosse technische Meisterleistung.
Wie schafft es so ein Ballon überhaupt von China in die USA?
Das ist eine grosse technische Meisterleistung. Denn Ballons sind von Wind und Wetter abhängig. Es muss eine Möglichkeit geben, den Flugweg solch eines Spionageballons so zu steuern, dass er sein Ziel erreicht. Ich vermute, dass das über entsprechende Satellitenverbindungen realisiert wurde.
Die USA sagen, man habe den Ballon nicht abgeschossen, um zu vermeiden, dass Trümmer auf die Erde fallen. Ist das für Sie eine plausible Erklärung?
Durchaus. Denn in solch einem Ballon befinden sich ausgesprochen viele Metallteile. Die Absturzkurve dieser Teile kann man nicht vorausberechnen. Somit besteht eine – wenn auch geringe – Gefahr, dass sie über bewohntem Gebiet niedergehen könnten.
Aus China heisst es, man gehe den Berichten über den Spionageballon nach und mahnt vor voreiligen Spekulationen. Wie schätzen Sie diese Strategie ein?
Die Chinesen haben offensichtlich gemerkt, dass es im Vorfeld des Besuchs von Aussenminister Antony Blinken ein Überborden der nachrichtendienstlichen Aktivitäten gibt.* Jetzt rudern sie zurück. Ich gehe davon aus, dass Herr Blinken bei seinem Besuch in Peking erreichen wird, dass die Chinesen ihre Ballons abziehen – und auch in Zukunft nicht mehr zu diesem nachrichtendienstlichen Instrument greifen werden.
Das Gespräch führte Rebecca Villiger.