Die Begrüssung wirkt herzlich: Der obligate Handschlag vor den Kameras, einige freundliche Worte, ein Lächeln hüben wie drüben. Doch bereits nach den einleitenden Worten von Janet Yellen wirkt der chinesische Vizepremier irritiert. Erst auf Nachfrage von Liu He übersetzt die Dolmetscherin die Aussagen der amerikanischen Finanzministerin. Eine Szene, die sinnbildlich für die chinesisch-amerikanischen Beziehungen steht: Man redet zwar miteinander, aber das gegenseitige Verständnis scheint oft zu fehlen.
Nichtsdestotrotz sind sich die beiden Seiten bewusst, wie wichtig der Austausch gerade in schwierigen Zeiten ist. Angesichts der komplizierten globalen Wirtschaftsaussichten bestehe ein «dringender Bedarf», dass sich die beiden grössten Volkswirtschaften zu ökonomischen Fragen austauschen würden, so Yellen. Auch der chinesische Vizepremier bekräftigte seine Hoffnung, dass man die «Differenzen» trotz Problemen überwinden könne. Es sei wichtig, den Dialog auch jetzt weiterzuführen.
Atmosphärische Annäherung
Differenzen: Davon gibt es neben gemeinsamen Interessen tatsächlich einige. Die Taiwan-Frage, der Handelskonflikt, der Ukraine-Krieg, Menschenrechte. Liu He, der wie Yellen immer wieder auf das Treffen zwischen Joe Biden und Xi Jinping am Rande des G20-Gipfels vergangenen November auf Bali Bezug nahm, bekräftigte: Man habe nur einen Planeten, und auf diesem gebe es immer «mehr Lösungen als Probleme». Ausserdem hätten die Beziehungen zwischen China und den USA Folgen für die ganze Welt.
Auch die US-Finanzministerin betonte die Verantwortung der beiden Länder, dass die «Rivalität» nicht zu einem offenen Konflikt zwischen China und den USA führen dürfe.
Ob das hochrangige Treffen neben atmosphärischen Nettigkeiten auch handfeste Fortschritte hervorbrachte, ist nicht bekannt. Die Behandlung der inhaltlichen Fragen fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt – auch Fragen von Journalistinnen und Journalisten waren nicht erwünscht.
Rivalität bleibt
Allein der Blick auf die Agenda der amerikanischen Finanzministerin unterstreicht aber, dass sich China und die USA trotz verbaler Annäherung weiterhin einen offenen Wettlauf um globalen Einfluss liefern.
Yellen reist nach dem Treffen in mehrere afrikanische Länder weiter. Die Volksrepublik hat ihre wirtschaftliche Präsenz auf dem Kontinent zuletzt stark ausgebaut. Die USA sind deshalb bemüht, die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit Afrika zu intensivieren. Die anstehende Reise Yellens steht also in direkter Konkurrenz zu den Interessen Chinas.
Die USA und China wollen den intensivierten Dialog in den kommenden Monaten fortsetzen. Der Chefdiplomat der USA, Antony Blinken, wird Anfang Februar nach China reisen. Dies bestätigte ein US-Beamter am Dienstag. Auch dann dürfte es vor allem darum gehen, dass sich die Spannungen zwischen China und den USA nicht ausweiten.